Originaltitel: PHOTO DE FAMILLE
F 2018, 99 min
FSK 0
Verleih: Alamode
Genre: Drama, Poesie, Familiensaga
Darsteller: Vanessa Paradis, Pierre Deladonchamps, Jean-Pierre Bacri, Chantal Lauby
Regie: Cécilia Rouaud
Kinostart: 16.05.19
Familie ist, wenn’s weh tut! Klingt nach Bauernweisheit, aber das Verläßliche an Bauernweisheiten ist nun mal, daß sie stimmen. Und bei der in diesem warmherzigen Film präsentierten Familie ist der Schmerz allerorts. Man könnte meinen, auch, weil es gleich mit einem Toten und dessen Beerdigung losgeht, doch das ist eben das Besondere an dieser Bande, ausgerechnet da tut es keinem richtig weh: Opa ist tot, doch so wirklich traurig scheint niemand, immerhin läßt sich über den Dahingeschiedenen sagen, daß sein Appetit ein ordentlicher war ...
Zeit für die Bestattung freizuschaufeln ist auch nicht so einfach, letztlich taugt der Friedhof aber ganz wunderbar zu einer Zusammenkunft all jener, die sich über die Jahre ein wenig aus den Augen verloren haben: die Geschwister Gabrielle, Mao und Elsa und deren seit Ewigkeiten getrennt lebenden Eltern. Ach, Oma ist auch dabei, nur weiß sie selbst gar nicht so recht, wer hier eigentlich bestattet wird, was auch nicht weiter ins Gewicht fällt, da die betagte Dame sich selbst nach dem eigenen, höflich grüßenden Sohn erkundigt: „Und wer war das gleich noch mal?“ Nun mag Oma zunehmend seniler werden, doch einen Wunsch äußert sie sehr konkret: Sie will in Saint Julien begraben werden. Ein fast schon magischer Ort, an dem alles leichter war, früher eben, als die Geschwister dort sorglose Sommer verlebten. Ein Foto berichtet davon ...
Cécilia Rouaud hat ein sicheres Händchen, von Traurigkeit komisch zu erzählen, Leichtes mit Tiefsinn zu flankieren, Sympathie niemals an Gefälligkeit zu verraten. DAS FAMILIENFOTO blickt liebevoll in Lebenswirklichkeiten, fabuliert vom Suchen nach dem Lot, von der immensen Last, heutzutage seinen Weg zu finden und dabei die, die man eigentlich liebt, trotzdem im Blick zu bewahren. Rouauds „Bauernweisheiten“ zielen dahin, daß wir allzu oft das eigene Glück übersehen, weil wir immer genau das begehren, was wir eben nicht haben, daß der besondere Bund geschwisterlicher Liebe, der nicht selten von Neid und Unverständnis attackiert wird, verteidigt sein will, man muß das gegenseitige Verständnis eben auch wollen, und daß Druck, gerade von den Eltern, oft der Schlüssel zum Zerwürfnis ist.
Denn: Kann man nicht ohne Kind glücklich sein, fragt sich Elsa zu recht. Wieso ist es denn peinlich, wenn man wie Gabrielle als über 40jährige mit Straßenperformances für Touris an der Seine sein Geld verdient? Und wenn Mao als Junge lieber mit seinem Teddy sprach als mit Maman, der Psychotante, war das doch in Ordnung. Darüber redet er heute mit seiner Therapeutin, dabei wäre es Mama gewesen, der damals dringend Betreuung hätte angetragen werden müssen, verscharrte sie doch einst in einer Eifersuchtsattacke das Plüschtier im Garten.
Zeit, über den Vater zu sprechen: Es gerät bei Rouaud nicht zum Klischee, wenn dieser sich in den vielen vergangenen Jahren vor allem durch emotionale Abwesenheit definierte (die eigene Ex wirft ihm vor, sich lieber mit Sekretärinnen zu vergnügen, als sich um die Familie zu kümmern ...) und im Alter von 60 Jahren seiner eigenen Tochter gewiß ohne Kalkül, aber doch saftig in der Wunde wühlt, weil er mit der neuen Geliebten noch mal Nachwuchs kriegt. Es kocht also auf allen Flammen, und die Auseinandersetzungen darüber sind perfekt auf den Punkt geschrieben und mit tollem Witz korrespondiert, es wird von Verzweiflung und Verkennen, von Verantwortung und Zusammenhalt erzählt.
Und noch ein Satz zu Vanessa Paradis: Sie gehört gewiß nicht zu den größten Schauspielerinnen und Sängerinnen Frankreichs, doch diese Verletzlichkeit, diese Fragilität und diese fast schon kindliche Strenge, die ihr eigen sind, machen sie noch immer zu dieser eindrucksvollen Type, die einen schon damals zu „Joe le Taxi“-Zeiten in den Bann gezogen hat.
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.