Das Gelände ist eine Brache, bestehend aus vielen Schichten Erde, die Geheimnisse aufsogen, Überreste bergen, dem Wandel der Gesellschaft trotzten, Geschichte und Geschichten erlebten. Wenn dieses Gebiet reden könnte, würde es bewegte Vergangenheit schildern: Heute ruht auf ihm ein Dokumentationszentrum, dessen Dauerausstellung „Topographie des Terrors“ Besucherströme generiert, vorher lag es an der Berliner Mauer, noch früher trug es die Zentrale der Gestapo und SS. Hier wurde der Holocaust geplant, zudem Menschen gefoltert und getötet, während die hohen NS-Tiere bei Tisch saßen. Es blieb ein Stück öder Acker mitten in der Metropole zurück, irgendwie verflucht, argwöhnisch beäugt, als wäre der Boden kontaminiert und daher unnutzbar.
Regisseur Martin Gressmann hat das fasziniert, und zwar derart, daß er jene Scholle aus ihrer Anonymität reißen wollte, sich dafür Zeit nahm. Rund 30 Jahre! Tatsache: Über fast drei Jahrzehnte hinweg spürte Gressmann dem Gelände nach, interviewte Sachverständige, Zeitzeugen, Anwohner, Angestellte, welche allerdings im Gegensatz zur gängigen dokumentarischen Herangehensweise nie zu sehen sind. Keine Talking Heads, die aufpoppen, inklusive erklärender Bauchbinde, wer da grade spricht, nein, jeder Kommunikationspartner bleibt gesichts- und funktionslos, stört nie die reine, pure Bilderfolge. Gressmann wiederum schneidet geschickt Aussagen gegeneinander, würgt schon mal längere Betrachtungen mittendrin ab, puzzelt ein akustisches Mosaik zusammen, fast ein Parlando, angenehm im Hintergrund plätschernd. Und apropos Bilder: Ungeachtet allen spürbaren Willens zur Bestandsaufnahme gelingen poetische visuelle Momente, nicht umsonst durften sich Film und Kamera bereits mit Preisen schmücken.
Zwischendrin liest Gressmann wiederholt aus Briefen an seine Oma – sogar nach ihrem Tod verfaßt. Was Sinn ergibt, schließlich spricht die ganze Doku, der Essay, die Elegie, wie immer man’s auch nennen mag, ebenfalls die Lebenden und die Toten an. Respektvoll, würdig, nachhaltig, ohne bleiern zu trutzen. Im Gegenteil, man schmunzelt über die Analyse des Berliner Bauzustands aus Münchner Sicht: „War der Krieg hier gestern?“
Man freut sich über liebenswerte Details wie gleich mehrere Graffiti, deren Zweck darin besteht, eine gewisse Beate zu grüßen. Und man wird nachdenklich, wenn es gegen Ende heißt: „Das Gelände hat seine Spannung verloren. Es redet nicht mehr.“
D 2013, 93 min
FSK 0
Verleih: Film Kino Text
Genre: Dokumentation
Regie: Martin Gressmann
Kinostart: 03.11.16
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...