Originaltitel: THE IMAGINARIUM OF DR. PARNASSUS
F/Kanada 2009, 122 min
FSK 12
Verleih: Concorde
Genre: Fantasy
Darsteller: Christopher Plummer, Heath Ledger, Johnny Depp, Colin Farrell, Jude Law, Lily Cole
Regie: Terry Gilliam
Kinostart: 07.01.10
Lewis Carrols kleine Alice schaffte ihn ganz leicht, den Schritt durch den Spiegel. Die Welt, mit Alices Augen gesehen, kennt noch keine Entzauberung. Da webt die Magie der Imagination ihre Fäden hinter dem Offensichtlichen. Und ja: Das Imaginierte ist ein Gespinst. Aber eben kein Hirngespinst, sondern eines, das so durchscheinend und verhüllend ist, wie nächtlicher Nebel. So real wie dieser.
Man hat schon einiges vernommen über Terry Gilliams DAS KABINETT DES DR. PARNASSUS (ein Kabinett, das im Originaltitel so viel lockender „Imaginarium“ heißt). Da gab es ein Raunen, das Großes versprach. Da gab es das Drama um Heath Ledger, der während der Dreharbeiten starb. Und da gab es die aus diesem Drama heraus geborene Notlösung, die noch ausstehenden Szenen Ledgers mit jeweils anderen Schauspielern (Jude Law, Johnny Depp, Colin Farrell) zu besetzen. Was sich als dramaturgisch ungemein reizvoll, als eine der schillerndsten Ideen in diesem an schillernden Ideen so reichen Film entpuppte.
Der Gang durch den Spiegel: Dr. Parnassus macht ihn möglich. Doch erst einmal zieht der Greis mit einem Pferdegespann, halb wackliger Wohnturm, halb grobmechanische Bühne, in London ein. Begleitet von einem Zwerg, einem jungen Gehilfen und seiner Tochter Valentina, die kurz vor ihrem 16. Geburtstag steht. Für Parnassus ein Tag, dem er mit Grauen entgegensieht. Hat der Alte doch ein dunkles Geheimnis – einen Pakt mit Mr. Nick. Der verlieh Parnassus einst die ersehnte Unsterblichkeit und verlangte dafür die Seelen von Parnassus’ Kindern, sobald diese ihr sechzehntes Lebensjahr erreicht hätten. Parnassus, hungrig nach Erkenntnis und Weisheit, willigte ein. Fest überzeugt, nie ein Kind zu haben.
Doch Mr. Nick ist der Teufel, und der Teufel kennt die Menschen und weiß um deren Schwächen. Ihre Anfälligkeit für die Liebe und das Vergessen. Mr. Nick mußte nur warten – um in einer Zukunft, in der Parnassus eintausend (!) Lebensjahre zählt, seinen Lohn einzufordern. Valentinas Seele. Doch der Teufel wäre nicht der Teufel, würde er nicht gerne spielen. Mr. Nick bietet dem Verzweifelten eine neue Wette: Es seien innerhalb von drei Tagen fünf Seelen zu fangen. In jener Welt, die sich hinter dem geheimnisvollen Spiegel verbirgt, der die Attraktion in Parnassus’ Wanderzirkus ist. Klar geht es mit dem Teufel zu, als Parnassus kurz darauf dem mysteriösen Tony begegnet. Ein Schlitzohr und Verführer, ein Menschenlocker. Genau der Mann, den Parnassus braucht, um doch noch gegen Mr. Nick zu gewinnen.
Der Gang durch den Spiegel ist der ins Kino. Um dort die Welt mit den Augen Terry Gilliams zu sehen. Als mystisches Labyrinth und schrille Jahrmarkts-Knallbonbon-Wundertüte. Gilliam jongliert mit den Elixieren des Teufels – und das mit reinem Herzen. Unbekümmert, als wäre die Welt nie wirklich entzaubert worden, verzaubert Gilliam sie aufs Neue. Kein Hirngespinst und mehr als Fantasy: eine Beschwörung des Geschichtenerzählens, ein Fest der Imagination. Gehen Sie ins Kino! Treten Sie durch den Spiegel!
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.