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Das letzte Kino der Welt

Ein Film zum Weinen

"Das ist kein Film zum Lachen." warnt Soledad, die Taxi-Fahrerin aus Buenos Aires, gleich zu Beginn. Die Stimme, mit der sie ihre Geschichte erzählt, klingt ein bißchen wehmütig. So, als würde eines der Kinder aus Bullerbü sprechen.

Es ist Mitte der 70er. Soledad ist jung und wild, hat das Auto vom Chef geklaut und ist damit Richtung Süden abgehauen. Nach drei Tagen strandet sie schlaftrunken im Nirgendwo Patagoniens in Rio Pico, einem Dorf ohne Fernsehen, ohne Radio, doch dafür mit dem letzten Kino der Welt. So wenigstens nennt es Caruso, sein Besitzer, mit stolzgeschwellter Brust und melancholisch umflorten Blick. Muß doch ein neuer Film erst mit dem Kleinbus, Karren, Fahrrad, Moped über 600 Dörfer wandern, ehe er sich an den Rand der Welt verirrt: nach Rio Pico. So abgeschnitten lebt man hier von der Außenwelt, daß das Dorfgenie Tardini jedes Jahr unwidersprochen eine neue bahnbrechende Theorie entwickeln kann: "Alles ist relativ" (Einstein/Tardini), "Alles ist Sex" (Freud/Tardini) etc. Wo die Welt erst noch erfunden werden muß, ist auch der Glaube an die Kraft des Kinos noch ungebrochen. Hier sind alle Mythen Kino-Mythen. Längst vergessene Stars füllen noch den Saal, der hiesige Kinokritiker Pedro kann Soledad seine Liebe und auch alles andere nur in Kinozitaten erklären, und die spinnerten Altvordern gründen einen Regiestab, um zur Rettung der Dorfjugend eine Wochenschau zu produzieren. Mit Soledad als Moderatorin wird die erste Folge ein voller Erfolg. Alle klatschen sie: die zu rettende Dorfjugend, Pedro, Caruso und auch Tardini. Der schon bald darauf spurlos verschwindet, hat er doch seine neue Theorie "Alle sind gleich" (Marx/Tardini) zur Unzeit erfunden: In Buenos Aires putscht gerade das Militär, die Kommunistenhatz beginnt und im tiefsten Patagonien am Rande eines vergessenen Dorfes wird vom Regime bald schon ein mächtiger Fernsehturm errichtet.

Nicht lange, und auch das letzte Kino der Welt wird veröden. Soledads patagonische Weltflucht hat ein Ende. "Ein Dorf, das Fernsehen hat, ist wie alle anderen auch." Sie verläßt das Nest der Nesthocker, der Zuspät- und Zukurzgekommenen, wo man sich mit Wehmut treiben läßt und mit Würde strandet. Sie verläßt Argentinien. Ein Film zum Weinen.

Originaltitel: EL VIENTO SE LLEV LO QUE

Argentinien 1998, 83 min
Verleih: Flax Film

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Jean Rochefort, Angela Molina

Stab:
Regie: Alejandro Agresti
Drehbuch: Alejandro Agresti

Kinostart: 18.07.02

[ Christian Seichter ]