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Das Lied des Lebens

Zauber aus reifen Kehlen

Es gab da einen Komponisten namens Bernhard König. Dieser überlegte, wie man in Heimen wohnenden Senioren neuen Spaß am Dasein schenken könnte, und er kam auf eine grundsätzlich simple Idee: Laßt sie singen! So zog er los, sammelte Laub und stellte es Rentnern als raschelndes Musikinstrument zur Verfügung. Das Ersturteil einer Insassin fiel zwar wenig positiv aus: „Furchtbar!“ Aber König ließ sich nicht entmutigen – zu Recht, denn langsam erschollen überall (liebevoller O-Ton) „faltige, knarrige Stimmen.“

Okay, selbige klingen nicht immer klassisch schön, indes jederzeit echt. Die ehrlichen Töne, aus denen statt künstlichem Lack sowie Nachbearbeitung Emotion und Weisheit sprechen, würden ergo eigentlich allein schon das eigene Entdecken rechtfertigen. König weiß allerdings, welche Eigendynamik geweckte Seelen entwickeln können, daß hinter lange verschlossenen Türen oft Wertvolles schlummert.

Treffen Alt und Jünger aufeinander, passiert’s schließlich nur zu häufig, daß Jünger Alt so ungefragt wie ungeduldig (weil aus Streß resultierende kurze Aufmerksamkeitsspanne etc.) an die Hand nimmt und nach eigenem Duktus dirigiert – dabei völlig vergessend, wer mehr Lebenserfahrung besitzt und im Umkehrschluß eigentlich von wem lernen könnte. Durch – erneut auch hier – Zeit zum Zuhören. Exakt die nimmt sich König und erhält dafür Humangut zum Weiterdenken und -fühlen: Unter anderem hadert eine Dame mit Gott, welcher ihr nach der viel zu früh verstorbenen Mama sowie dem geliebten Gatten noch das Augenlicht raubte. Ohne Entschuldigungsintention arbeitet ein Herr seine Beteiligung am Zweiten Weltkrieg auf: „Wir haben tatsächlich geglaubt, was man uns erzählt hat!“ Bei einer weiteren Frau weckt „Kann denn Liebe Sünde sein?“ Erinnerungen an die Zeit als gesellschaftlich geächtete, auch körperlich drangsalierte minderjährige Mutter. Unterschiedliche Schicksale, die alle enorme Gänsehautmomente bergen. Und manchmal gibt es unverhofft gar Grund zum Schmunzeln – beispielsweise, wenn die Sprache auf eine wiederholte Ehe aus reinem Mitleid kommt.

Gegen Ende konstatiert vormals erwähnte Pensionärin mit fester Stimme abschließend, eventuell sogar sich selbst von extern eingeredeter Schuld befreiend, daß Liebe eben keine Sünde sei. Spätestens dann steigt DAS LIED DES LEBENS von der wundervollen und rührenden Beobachtung zum großen Film auf.

D 2012, 90 min
FSK 0
Verleih: Lichtfilm

Genre: Dokumentation, Musik

Stab:
Regie: Irene Langemann
Drehbuch: Irene Langemann

Kinostart: 31.01.13

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...