Originaltitel: MAR ADENTRO
Spanien 2004, 125 min
Verleih: Tobis
Genre: Drama, Schicksal
Darsteller: Javier Bardem, Belén Rueda, Mabel Rivera, Clara Segura, Lola Dueñas
Regie: Alejandro Amenábar
Kinostart: 10.03.05
Es dürfte der blaueste Himmel gewesen sein, der Spanien je überzog, das mächtigste Luftazur aller Zeiten, welches sich mit der unberechenbaren, tückischen Macht des Ozeans verschwor. An jenem Tag, als Ramón Sampedro ein junger Kerl war, der mit einem Mädchen flirtete, in der etwas gockelhaften Art, wie es Männer in dem Alter mitunter und Spanier insbesondere tun. Dazu gehört - vor den Augen der geschmeichelten Maid - ein ordentlicher Sprung von den karstigen Felsen der schroffen Küste in die unendlichen Tiefen des Meeres. Nur, daß das Meer an der Stelle nicht tief war ...
Diese Bilder und Fantasien des freien Fluges, hinweg über herrliche Landschaften, getragen von der Kraft und Leichtigkeit imaginärer Schwingen, kommen Ramón auch 27 Jahre später immer wieder in den Sinn. Zeit zum Nachdenken, zum Spinnen, zum Fantasieren hatte er genug. Auch zum Weinen. Seit jenem Tag jugendlicher Schwerelosigkeit hat Ramón das Bett nicht mehr verlassen. Nur der Kopf kann sich noch bewegen. Und denken. Seit 27 Jahren denkt Ramón ans Sterben ...
Der außerordentlich vielseitige Regisseur Alejandro Amenábar zeichnet Ramón nicht als frustriertes, zynisches und larmoyantes Ekel, er schreibt ihm eine gehörige Wut und ein an sich sympathisches Verständnis von Würde in die Brust. Zu Ramón, der aufopferungsvoll von seiner Familie gepflegt wird, gesellt sich Julia, eine Anwältin, die an seinem Fall großes Interesse hat, bis sie sich schwer in ihn verliebt und noch schwerer erkrankt. Auch Gené steht ihm zur Seite, die sich in der "Gesellschaft für würdevolles Leben" engagiert. Die dritte Frau im Bunde platzt wie Müllers Lieschen in Ramóns Leben: eine alleinerziehende Mutter mit Helfersyndrom. Ramón, ein kluger und direkter Typ, wirft ihr auch gleich an den Kopf, daß sie auch aus Eigennutz und Frust am Bett des Behinderten steht. Die ihm zu Teil gewordene Aufmerksamkeit weiß Ramón durchaus zu schätzen. Er braucht aber einen Menschen, der ihm in seinem sehnlichsten Wunsch, dem, endlich zu sterben, versteht - und dabei hilft!
Pauschal könnte man meinen, mehr Kino geht nicht! Eine aufwühlende, fesselnde, kontroverse Debatten aufwerfende Geschichte, deren formal verblüffende, hochgradig kluge und faszinierende Umsetzung, brillante Darsteller und eine spürbare Haltung des Regisseurs. Kurzum: ein unvergleichbares und verdient mit Preisen überhäuftes Gesamtkunstwerk. Doch worin zeigt sich nun das große sensible Geschick dieses gerade mal Anfang Dreißigjährigen Alejandro Amenábar? Obwohl er durchaus und ziemlich klar Stellung bezieht, schwingt er sich nicht zum Missionar der Sterbehilfe auf. Obwohl die Geschichte tränentreibend (und dabei völlig unsentimental) ist, verfügt sie in Amenábars Umsetzung auch über gehörigen, manchmal gar schräg-deftigen Humor.
Die Szene, in der ein ebenfalls querschnittsgelähmter Priester sich im Rollstuhl die schmalen Treppen zu Ramóns Schlafzimmer hoch quält, um ihn im Auftrag der katholischen Kirche unbeirrbar stumpfsinnig und dogmatisch zu läutern, dürfte Kinogeschichte schreiben. Und obwohl Ramón sein Recht - keinesfalls seine Pflicht - auf ein Leben (und dessen Verlauf) auf Grund der empfundenen Würdelosigkeit verzweifelt und müde einfordert, wird er immer wieder als gewitzter, scheinbar lebensfroher Typ gezeigt.
Javier Bardem übrigens beweist einmal mehr, daß er einer der beeindruckendsten europäischen Schauspieler unserer Zeit ist. Also bleib ich doch dabei: mehr Kino geht nicht.
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.