D 2019, 80 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Marie Rathscheck, Nicolai Borger
Regie: Susanne Heinrich
Kinostart: 27.06.19
Endlich mal eine Frau. Ja, endlich mal eine Frau – kann man wirklich sagen. Seit es Literatur und Film gibt, werden immer wieder die seelischen Odysseen melancholischer an der Welt hadernder Männer inszeniert, so in OH BOY, in dem Tom Schilling als prokrastinierender Student durch die unendliche Großstadtnacht mäandert. In DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN spielt Marie Rathscheck eine junge Frau, die auf der Suche nach einem Schlafplatz verschiedene Menschen trifft und sich an allerlei kosmische Orte treiben läßt.
„Ich frage mich, wie bin ich all das geworden, wie ich nie werden wollte?“, sagt sie, während sie genüßlich an einer Langhalszigarette zieht, im schneeweißen Pelzmantel vor einer Südsee-Fototapete verharrt und ihren philosophischen Gedanken freien Raum läßt. „Ich hasse melancholische Mädchen.“ Das ist von Anfang an sehr amüsant, und während man denkt, daß die überkünstliche Inszenierung nur ein Auftakt gewesen sein könnte, ist die Hauptfigur schon wieder in die nächste Welt gerutscht und besucht junge Mütter beim Yoga, einen Existenzialisten oder einen Romantiker in der Badewanne.
Die Dialoge sind dabei so steif und inszeniert wie die in Pastellfarben gehaltenen, theaterähnlichen Kulissen. Fast nie zeigen die Gesichter eine Regung, die Gespräche sind stakkatohaft und wenig emotional. All das ist faszinierend und irritierend zugleich und auch nach den 14 Episoden des Films höchst erfrischend, wie diese junge Frau um sich selbst kreisend durch die Welt zieht und mit ihrem melancholischen Blick die Absurditäten unserer postkapitalistischen Gesellschaft entlarvt. Da geht es um Schönheits- und Optimierungswahn, um Depression und zwischenmenschliche Kälte.
Susanne Heinrich hat eine Art Farbklecks auf die Filmlandschaft geworfen und vielleicht einen neuen deutschen Film hervorgebracht mit einer brillanten Bildsprache. Schade ist, daß sie das Frausein in ihren Zynismus genauso abwertet, wie es ewig Männer getan haben. „Das Baby ist das erste zwingende Ereignis in meinem Leben“, sagt die frischgebackene Mutter, die Langeweile als Kinderwunsch angibt. Die Mütter inszeniert sie als egomane Spießerinnen und potentielle Liebhaber als selbstverliebte Stadtneurotiker, während die junge Frau selbst mit schön gelocktem Haar, glatter Haut, festen Brüsten und an der Welt verzweifelnd brilliert. Die Hauptfigur wird damit zum Motor des Systems, das Heinrich so kritisch durchleuchtet.
[ Claudia Euen ]