Originaltitel: POTICHE

F 2010, 104 min
FSK 6
Verleih: Concorde

Genre: Komödie

Darsteller: Catherine Deneuve, Gérard Depardieu, Fabrice Luchini, Karin Viard

Regie: François Ozon

Kinostart: 24.03.11

43 Bewertungen

Das Schmuckstück

François Ozons komischer Reigen über eine ziemlich spezielle Frau

Und auf einmal haben sie ihn alle wieder lieb. Sogar zu Hause. Sechs Filme und fast neun Jahre nach 8 FRAUEN hat es gedauert, bis das heimische Publikum und vor allem die Presse ihr einst gefeiertes und dann ziemlich bösartig in den Brunnen gestupstes Wunderkind wieder mochten. Darüber kann nur müde lächeln, wer François Ozon immer verehrte, auch und gerade dann, wenn er sich um keinerlei Konventionen, Erwartungen und Genres kümmerte – und Ausnahmekino wie 5 X 2, DIE ZEIT DIE BLEIBT und RICKY schuf. Nun hat er zur Komödie zurückgefunden, worüber man sich freuen darf, denn auch das kann er, so hat er angefangen mit SITCOM. Eine Ozonsche Komödie ist natürlich nie einfaches Lachstück, hier gibt es mehrere Böden aus Gehässigem, Anrührendem und Bitterkomischem. Ein wunderbarer Film also, der schon zu Beginn dem Affen Zucker gibt.

Da sehen wir eine bestens aufspielende Catherine Deneuve beim Morgensport. Dabei läuft sie so, wie ältere Damen vorzugsweise schwimmen: geschürzte Lippen und immer im Takt „Pfff ... Pfff ...“, „Pfff ... Pfff ...“ Tolle Atmung, herrlich gagaesker Auftakt, denn Catherine, die im Film Suzanne heißt, hält kurz inne und sieht was? Ein Reh auf der Lichtung. „Oh!“ kommt es ihr aus dem erstaunten Mund. Blick nach oben, ein rastendes Täubchen – „Oh!“ Und da auf dem Baum: „Oh!“ kommentiert sie das süße Eichhörnchen. Und schließlich der Blick auf des Waldes Flur – zwei fickende Kaninchen. Nun ohne „Oh!“, Suzanne aber zückt dennoch ihr Blöckchen und verfaßt eins ihrer – nun ja – naturalistischen Poeme ...

Herrlich diese Introduktion, die albern ist und in kurzen Pinselstrichen doch viel erzählt. Nämlich von dieser Mme Pujol als gelangweilte Unternehmergattin: Die Kinder aus dem Haus, der Mann führt die Regenschirmfirma, ihr bleibt nur, das Weibchen, das strickende Hausmuttchen, die Enkel liebende Oma, kurzum das Schmuckstück zu sein, das seinem holden Gatten die Stirn tupft, den Scotch reicht, über die Affären hinwegsieht. Und sich runterputzen läßt: „Erst dämliche Fragen und nun auch noch eine eigene Meinung?“ Bis eines Tages die Belegschaft in der Firma streikt, die Tochter ihre Mama fragt, ob sie glücklich sei, und Suzanne ein weiteres Gedicht mit dem blumigen Titel „Die Rose des Morgens“ schreibt. Es langt! Sie nimmt das Zepter in die Hand ...

Man darf schwärmen, sich hinreißen lassen zu „Der schönste Film des Kino-Frühjahrs!“ – weil’s stimmt. Weil Ozon komisch kann, aber auch, weil er einfach viel davon versteht, sich stark zu machen – für die an den Katzentisch Plazierten, die sich spät, aber nicht zu spät Wehrenden, und – wir sind in den 70ern – für einen gesunden Feminismus und hier augenzwinkernd für eine spezielle Frau mit Geheimnissen. Diese Rolle steht der Deneuve prächtig, die Belle de jour blüht neu in ihr auf: erst die Hausfrau, die die Kittelschürze über den Trainingsanzug wuchtet, beim Tischdecken die wunderbaren Chansons der in Deutschland leider vergessenen großen Michelle Torr trällert, und dann doch die kleine Saloppe, die sich früh nahm, was sie brauchte, was zur absurden Karussellfahrt um die Vaterschaft ihres Sohnes führt.

Ozon hat nicht nur dieses oft böse blitzende Talent für pointierte Komik, er ist auch akribisch: Die Optik ist perfekt, die Tochter trägt Farrah Fawcett-Frisuren, Sohnemanns Hemdskragen sind spitz und die Hosen eng, das Mobiliar nußfarben. Und die Kostüme der Deneuve korrespondieren selbstverständlich perfekt mit der Umgebung. Ozons Film hat viele starke Momente, zwei Szenen werden unvergeßlich sein: Deneuve und Depardieu, die vielleicht letzten Granden des französischen Kinos, beim Discofox und schließlich La Deneuve im Finale als Vorbotin einer singenden Hillary Clinton im gleißenden Licht.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.