Es ist wirklich ein Schwein. Der Filmtitel ist da sehr direkt und meint nicht etwa die drastische Umschreibung eines Terroristen in konfliktreicher Region. Nach dünnen Tagen kümmerlichen Sardinenfangs hat Fischer Jafaar endlich wieder Großes im Netz. Allerdings stammt die Beute nur indirekt aus dem Wasser, sie ist vielmehr von einem asiatischen Schiff gerutscht. Und Jafaar rutscht beim Anblick des quieklebendigen Hängebauchschweins sein palästinensisches Herz in die verschlissene Hose.
Ausgerechnet ein Schwein, Symbol des Unreinen in Vollendung! Welch zutiefst religiöses Desaster, das sehen die Völker des Nahen Ostens in seltener Eintracht gleich, selbst dort im Gazastreifen, dem israelisch-palästinensischen Epizentrum schlechthin. Schwein – nein! Jafaar ist ein gewieftes Kerlchen, glaubt er zumindest. Von innerer Panik getrieben, sperrt er das Tier im Hafen auf seinem Boot ein und besinnt sich auf Kontakte zur UNO und deren ortsansässigen Beamten Schauerland. In vorzüglich-radebrechendem Englisch will Jafaar ihm das „Big“ verkaufen, er esse doch „Big.“ Schauerland dreht fast durch. Nun, das war nichts.
Jafaar besorgt sich beim befreundeten Friseur eine Kalaschnikow – auch der Lynchmord an Bord geht schief. Was aber darf Jafaar danach erfahren? Sogar die benachbarten Israelis züchten auf heiligem Boden Schweine. Gut, sie legen ihnen Holz unter die Beine … Wie wäre es also mit einem Deal? Jelena, die russisch-jüdische Siedlerin hinterm Zaun, will zunächst nicht das ganze Schwein, nur dessen Samen. Jafaar bekommt auch das gebacken. Wie? Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem man sich aus detaillierten Beschreibungen ausblenden sollte. Zu viel Spaß wäre zu voreilig verraten. Zu fatal.
Denn ja: DAS SCHWEIN VON GAZA ist eine Komödie, ein weiterer Versuch, tagesaktuellen Brenzligkeiten mit einer mutigen cineastischen Erzählform zu begegnen. Der französische Regisseur Sylvain Estibal sieht sein Debüt als einen „ ... vom Lachen erstickten Wutschrei.” Mehr braucht es gar nicht an Allegorie. Denn so sehr sich Held Jafaar auch in obskure Verstrickungen hineinmanövrieren mag, so befreiend komisch das oft ist und weder die burleske Höhe scheut noch den Klamauk von ganz weit unten, so spürbar ist Estibals Verlangen nach „Atemluft“, die er Israelis wie Palästinensern über ein Kinomärchen verschaffen mag.
Dafür spitzt er offensiv zu, indem er in Jafaars Haus zwei israelische Wachposten positioniert, die mit seiner Frau brasilianische TV-Seifenopern sehen und plötzlich mit ihr reden. Dafür läßt Estibal das Schwein im Schafspelz durchs Dorf ziehen, Jafaar zum potenziellen Märtyrer mutieren, zum von radikalen Islamisten voreilig mißbrauchten Notlügner.
Plumpes Auf-eine-Seite-Schlagen vermeidet DAS SCHWEIN VON GAZA ebenso erfolgreich, wie er im Botschaftsdrang vor allem am Ende etwas überzieht. Vom Ton her nimmt er jenen der BAND VON NEBENAN auf, in dem Hauptdarsteller Gabay ebenso mitspielte, und der es 2008 zum viel gesehenen Geheimtip schaffte. Ein „Schicksal“, das nun auch das Schwein vor der Schnauze hat.
Originaltitel: LE COCHON DE GAZA
F/D/Belgien 2011, 98 min
FSK 12
Verleih: Alamode
Genre: Polit, Tragikomödie, Satire
Darsteller: Sasson Gabai, Baya Belal, Myriam Tekaïa, Ulrich Tukur
Regie: Sylvain Estibal
Kinostart: 02.08.12
[ Andreas Körner ]