D 2015, 128 min
FSK 12
Verleih: Universal
Genre: Biographie, Drama, Historie
Darsteller: Lea van Acken, Martina Gedeck, Ulrich Noethen, Margarita Broich
Regie: Hans Steinbichler
Kinostart: 03.03.16
Allein das Vorhaben gebietet doch einige Ehrfurcht: Eine Neuverfilmung dieses Tagebuchs, das zum UNESCO-Weltdokumentenerbe gehört. Ein Stück Weltliteratur, das sowohl in Gelehrtenstuben als auch in Jugendzimmern zu finden ist. Das in sämtlichen Sprachen zu einem spricht – in 70 Übersetzungen und ungezählten Kommentarwerken, aber mehr noch in seiner Vielstimmigkeit als schriftstellerisch ambitionierte Selbsterkundung einer Heranwachsenden unter den Bedingungen von Judenverfolgung und Nazi-Terror, versteckt in einem Amsterdamer Hinterhaus, eingeschlossen in einem Mikrokosmos aus zugezogenen Gardinen, kargen Mahlzeiten und ertrotzter Normalität.
Anne Franks Geschichte erzählt auch von einem erwachenden Körper- und politischen Bewußtsein, von mädchenhaftem Liebessehnen, von einem verehrten Vater, einer manchmal fremden Mutter und der großen Schwester Margot. Sie entwirft bitter-komische Charakterstudien der anderen „Mitgefangenen“, mal altklug milde, mal mit gerechter Teenager-Verachtung. Vor allem aber wurde sie Sinnbild eines erstickten Anfangens – mit all den Erwartungen an ein Leben „danach“, das es nicht geben sollte. Ihren zwischen den Sommern 1942 und 1944 geschriebenen Betrachtungen verleiht dies nach wie vor den aufwühlenden Mitfühlhorizont. Nur der Vater übersteht Deportation und Lagerhaft.
Was ist den gesetzten Bildern, den gedachten Gedanken hinzuzufügen? Außer, daß auf die zahlreichen internationalen Adaptionen nun die erste deutsche Aufarbeitung in fiktionaler Form folgt. Mit dem Drehbuch vollendet Fred Breinersdorfer nach SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE und ELSER seine Trilogie über ikonische „Opfer- und Heldenbiographien aus der NS-Zeit.“ Für die Regie wurde Hans Steinbichler verpflichtet, der sich etwa mit WINTERREISE so wohltuend vom Dramen-Allerlei des deutschen Filmschaffens absetzte. Hier treffen sie sich in der Mitte, also auf halbem Weg zwischen Breinersdorfers emotional zugänglicher, historisch rundender Dramatisierung und Steinbichlers Anspruch einer „totalen Subjektivierung“, den er vor allem durch direkt in die Kamera gesprochene Monologe umsetzt.
Allen Konventionen ist so nicht zu entkommen, aber doch dem Mehltau des historisch Entrückten. Die größeren Risiken tragen freilich die Schauspieler – vor allem dort, wo sie ohne das sympathische Einverständnis mit ihren Figuren auskommen müssen.
[ Sylvia Görke ]