Originaltitel: LE PETIT LOCATAIRE

F 2016, 99 min
FSK 6
Verleih: Wild Bunch

Genre: Komödie

Darsteller: Karin Viard, Philippe Rebbot, Hélène Vincent

Regie: Nadège Loiseau

Kinostart: 20.07.17

7 Bewertungen

Das unerwartete Glück der Familie Payan

Die Menopause kann warten

Beine rasieren, Zähne putzen, Haare sprayen, Blüschen bügeln, den melancholischen Mann bespaßen, sich an der nicht erwachsen werden wollenden Tochter abplagen, die ihr immerhin eine hinreißende Enkelin ins Leben brachte – und die eigene Mama mit Tendenz zu schrägen Späßen und profunder Vergeßlichkeit wohnt auch noch in der bescheidenen Hütte! Das Leben von Nicole ist hektisch, sie schafft es trotzdem, wie aus dem Ei gepellt auszusehen in ihrem zitronenfaltergelben Busineßkostüm. Zu spät kommt sie dennoch, um ihrem Marine-Sohn kurz am U-Boot „Salut“ zu sagen. Keine Frage, die Stimmung ist gereizt, die Frau steht unter Strom, und plötzlich muß sie sich auch noch übergeben. Übergeben? Genau, mitten am Kai, die Frau ist ja so was von richtig schön in anderen Umständen, wie sie es sich mit knapp 50 eigentlich nicht mehr ausgemalt hat.

Das wäre nun eine perfekte Exposition, um so einen blöd-albernen, hysterisch-durchgeknallten „Hilfe, ich bin schwanger“-Klamauk loszutreten, derart clowneske Hampelei liegt Regisseurin Nadége Loiseau nicht, die kommt aus dem östlichen Norden Frankreichs, fast schon Belgien, da lacht man nicht flach, ein Glück! Ihr gelang eine Komödie, die sich niemals krachledern in schalen Gags verliert, sie erzählt mit Zwischentönen von schwierigen Entscheidungen, von der ewigen Last, was man vom Leben eigentlich so erwarten darf. Keine Sorge, ein Kummerkasten ist dieses hinreißende Lachstück deswegen kaum, gar richtig laut wird es bisweilen, denn Nicole ist kein Chichi-Mäuschen, eher reine Arbeiterklasse, entsprechend kann sie fluchen. Über den eigenen Mann, der zu lange arbeitslos ist, über die Tochter, die nicht ausziehen will, über sich selbst auch, was manchmal an der Ödnis ihrer Arbeit liegt – Mautgebühren kassieren, hurra! Und wenn sich dann noch statt der Menopause Nachwuchs ankündigt, dann darf es auch mal derber sein: „Merde! Wie kann man nur so blöd sein?!“

Loiseau hat ein gutes Händchen für das Beschreiben eigenwilligen Zusammenlebens, hier das von vier Generationen unter einem Dach, bei dem der solidarische Gedanke besticht, dieser heute selten gewordene Zusammenhalt, der aber eben auch Kanten und Brüche kennt, was deutlich wird, als Nicole ausfällt, und der Rollentausch im Hause Payan alles andere als elegant vonstatten geht. Man glaubt kaum, daß dies ein Debüt sein soll, ist aber so, erstaunlich, wie es Loiseau gelingt, herrlichen Witz und reichlich Anrührpotential zugleich aufzufahren, sie erzählt in einem eigenwilligen Rhythmus von einem sympathischen Haufen, in dem die Frauen das Ruder in der Hand haben. Frauen, die geerdet sind und ganz selbstbekennend wissen, daß sie durchaus eine „Tradition von Scheißmüttern“ pflegen.

Wie nebenher wird von der schwierigen Akzeptanz des Loslassens und der immanenten Furcht vor kompletter Stille in diesem lebhaften Haus erzählt. Loiseau fährt dabei ein tolles Kabinett skurriler Typen auf, allein wie der meist im Jogginganzug gekleidete Ehemann Jean-Pierre aussieht, ein Wiedergänger des unverwüstlichen Pete Postlethwaite, möchte man vermuten. Nicole ist das, was man im besten Sinne eine „Anpackerin“ nennen würde, ihr kommt in dieser prekären Situation glaubhaft und nie ordinär über die Lippen, daß sie für etwas Süßes sogar auf den Strich gehen würde. Mehr muß man über dieses tolle Weib nicht sagen, außer, daß sie von Karin Viard gegeben wird, womit dann wirklich alles klar ist.

Herzpochend ist schließlich der Moment kompletter Sprachlosigkeit im Krankenhaus, auch dazu passen einmal mehr die von der Regisseurin gleich selbst in einem widerspenstigen Englisch vorgetragenen fragilen Songs aus der Feder des Komponistengatten.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.