Warum nimmt sich der stilsichere und multitalentierte Michael Glawogger gleich das ganze Panorama des gleichnamigen Haslinger-Romans vor und konfrontiert seine Zuschauer, von ihm bislang einen Guß gewohnt, mit einem überbordendem filmischen Vexierspiel? Eine Überraschung? Eine freundlich gemeinte Zumutung auf gleicher Augenhöhe? Ein Hinweis, das Buch (noch einmal) zur Hand zu nehmen? Oder ist es die eigene Verführbarkeit, die den Regisseur an die visuelle Erzähltechnik des Autors anknüpfen läßt, die auf nichts verzichten will, nichts reduzieren? DAS VATERSPIEL, nun also gewagte filmische Adaption, toleriert jede Vermutung.
Die gelungene notwendige Bündelung und Raffung der Erzählstränge, immerhin verflicht die Narration nicht weniger als drei Familiengeschichten über drei Generationen hinweg (die Schicksalslinien kreuzen sich zwischen Litauen im Jahre 1941, Ludwigsburg 1959 sowie Wien und New York in den 90ern), zeichnet den Regisseur einmal mehr als sicheren Dramaturgen aus, als einen, dem die Fäden nicht entgleiten. Da ist Ratz, der dem Einfluß des übermächtigen Vaters entkommen muß und deshalb seit Jahren an einem Computerspiel tüftelt, das den Mord am eigenen Erzeuger zum Gegenstand hat; Ratz, dessen Liebe zur eigenen Schwester die konventionellen Bahnen zu verlassen droht, und der sich deshalb nicht ungern von Mimi, einer früheren Studienfreundin, nach New York beordern läßt.
Da ist eben diese Mimi, die ständig andere Perücken trägt, in die Ratz verliebt war (Oder ist er es noch?), Mimi, die im Keller des großmütterlichen Hauses ein leibhaftig-schwieriges Erbe entdecken muß. Und da ist ein Mann, irgendwann in jüngster Vergangenheit, der zu einem Tonband von ungeheuerlichen Verbrechen spricht.
Obwohl fraglos geübt im Driften zwischen Genres und Formen, mit diesem Film, in den er nun schier alles packt, gerade so, als könne er auf den Beweis des eigenen Vermögens, der Bild-, Seh- und Denkschärfe nicht verzichten, mit diesem Film, der das Zeitformat von zwei Stunden so maßlos überschätzt, läuft Glawogger Gefahr, den Zuschauer an die Flüchtigkeit zu verlieren, weil er ihn – nicht nur visuell – überfordert.
Hochkonzentriert und eingängig sind deshalb vielleicht eben jene Szenen, die weniger in Bildern erzählen. In ihnen sitzt Ulrich Tukur in einem kargen Zimmer und spricht Jonas Shtroms bleischwere Sätze auf Band.
D 2009, 117 min
Verleih: Alamode
Genre: Literaturverfilmung, Drama, Familiensaga
Darsteller: Helmut Köpping, Sabine Timoteo, Ulrich Tukur
Regie: Michael Glawogger
Kinostart: 26.11.09
[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.