Originaltitel: L’AMANT DOUBLE
F/Belgien 2017, 107 min
FSK 16
Verleih: Weltkino
Genre: Erotik, Thriller, Drama
Darsteller: Marine Vacth, Jérémie Renier, Jacqueline Bisset
Regie: François Ozon
Kinostart: 18.01.18
„Können Sie was tun für mich?“ Was wie ein gegen die Uhr gezirkelter Standard aus dem Einzelhandel klingt, wiegt bei François Ozon verzweiflungsschwer, packt doch Chloé, die von sich sagt, daß sie nicht fähig sei zu lieben, dem die Irritation beim Eintreten der schönen Frau fast perfekt kaschierenden Therapeuten Paul ihr Leben aufs Tablett. Der Bauch schmerzt ihr, man verständigt sich schnell aufs Psychosomatische, ohnehin sei sie ein ungeliebtes Kind, die Mutter erinnert sich nicht einmal an den Namen des One-Night-Stands: Dr. Meyer, bitte helfen!
Wenn man den Sekundenmoment des zögerlichen Lächelns Chloés nicht verpaßt, und man den klitzekleinen, nervösen Wimpernschlag Pauls mitkriegt, dann ahnt man, daß hier gleich etwas Metamorphotisches losgetreten wird. Chlóe träumt von Paul, im Rahmen der Sitzungen geht das Bauchweh weg, sie selbst wird immer schöner, die beiden werden ein Paar! Und als eines Tages Chloé auf einen verheimlichten Zwillingsbruder Pauls trifft, auch er Psychologe, optisch Pauls exaktes Abbild, dabei charakterlich das komplette Gegenstück, dann ist die Bühne eröffnet für einen mehrbödigen Reigen der Zerrspiegel aus Eifersucht und Verlustangst, dann wird ein Szenario heraufbeschworen, das in seiner saftigen Erotik, dieser Hitchcockschen Suspense und dem furchtlosen Hakenschlagen an einen Maskenball gemahnt, wie ihn das Kino bisher noch nicht zu offerieren wußte.
Man läßt sich von Ozon, diesem Meister der Täuschung, gern an der Nase herumführen, fragt sich in manchem Moment, ob sein neuester Film zum Konzeptkino mit einigen Mätzchen geraten könnte, bis Le Maître im richtigen Moment das Ruder rumreißt und somit einen Filmladen zusammenhält, der in anderen, künstlerisch schwächeren Händen auseinandergeflogen wäre. Ozon holt dabei nämlich recht weit aus, taucht in die psychologischen Abgründe des Zwillingskannibalismus’, zeigt, wie sich Verhaltensmuster gar nicht so selten gegen jede Ratio wiederholen, jongliert in diesem filmischen Fiebertraum mit allerhand Thrillermomenten, ohne Zynismus und trotzdem mit Grinsegrübchen zeigt er, wie instabil, wie schwach der moderne Mensch ist, wie verzweifelt wir lieben und zurückgeliebt werden wollen.
Man sieht ihm schon den unbedingten Willen zur Provokation an, dies ist jedoch Teil seines Stils, Ozons Kino hat schon immer irritiert und soll dies unbedingt gern weiter tun, zumal, wenn diesem wie hier eine beispiellose Eleganz eigen ist. Allein wie Bilder angeordnet und Räume inszeniert werden, pure Schönheit und klirrende Kälte gehen mal wieder Hand in Hand.
Ozon weiß wie kein Zweiter, Profanes filmisch aufzuwerten, Profundes in Nebensächlichkeiten zu münzen, er läßt vom Bauch als zweites Gehirn parlieren, forciert einen Rollentausch bisweilen so derb, daß man sich am Landestheater wähnt, und wenn bei ihm Sätze aus dem Schmonzettenbaukasten à la „Es gibt Notfälle in der Klinik. Warte nicht mit dem Essen!“ durchs Telefon geraunt werden, dann hat das eben doch nix Abgestandenes, vielmehr etwas rein Existentielles, weil es bei Chloé tiefsitzende Ängste aufruft.
In DER ANDERE LIEBHABER prallen das Grundgute und Ur-Böse aufeinander, Ozon bietet zur Orientierung kleinere Querverweise und Wegweiser, an die man sich aber bitte sehr nicht klammern sollte. Vielmehr betrachte man es als zwingend, wenn den Figuren in diesem Spiel Menstruationsblut an den Lippen klebt, daß, wenn die Bauchschmerzen zurückkehren, sich in Chloés Unterleib etwas regt, was durchaus an die Metamorphose in Ozons RICKY gemahnen läßt, und man darf sich im Ringkampf des Animalischen und anderer Ingredienzen der Psychologie an die Hand nehmen lassen und darauf vertrauen, daß der Ausweg aus diesen seelischen Labyrinthen ein ganz logischer ist. Was man erst hinterher weiß ...
[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.