Österreich/D/Israel 2014, 93 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber

Genre: Dokumentation, Biographie

Stab:
Regie: Vanessa Lapa
Stimmen: Tobias Moretti, Sophie Rois

Kinostart: 18.09.14

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Der Anständige

Heini, Marga und die Püppi

Es sind immer wieder die Ausmaße von Großmannssucht, Arroganz und die eines unermeßlichen Rassenwahns, die erschüttern, wenn man sich mit den gedanklichen Hinterlassenschaften von Nazigrößen beschäftigt. Romuald Karmarkar hatte sich in seinem experimentellen HIMMLER-Projekt sehr nüchtern den „Posener Reden“ Heinrich Himmlers genähert, der 1943 vor führenden SS-Generälen die Notwendigkeit der Vernichtung des Judentums darlegte. Nun hat die israelische Filmemacherin Vanessa Lapa die privaten Tagebücher, Briefe und Haushaltsbücher von Heinrich Himmler, seiner Frau Margarete und der Tochter Gudrun zu einem Film verarbeitet, der aufgrund des Kontrastes von heiterer Betulichkeit und den Ausmaßen der „Arbeit“, die Himmler so tatkräftig verrichtete, noch einmal auf ganz andere Weise in den Eingeweiden der Zuschauer rumort. Und dabei wütend, ratlos und stumpf zugleich macht.

Denn wie traurig ist es eigentlich, daß solch ein penibler, kränkelnder Erbsenzähler, der ständig an Verstopfung litt und ein zutiefst bürokratisches Bild von Romantik verfolgte (auch hier die Kategorien, Schubladen und Ordnungsmuster), zu einem der einflußreichsten Männer an Hitlers Seite wurde? Und dann genauso ordnungsgemäß, wie er seine Liebesbriefe numerierte, auch den Massenmord organisierte, beflügelt von einer selbstgerechten Moral.

Beiläufige Kartengrüße wie „Ich fahre nach Auschwitz. Küsse, Dein Heini!“ zeugen von einer Kaltschnäuzigkeit, die man sich nicht zu erklären vermag. Oder wenn Gudrun, das Töchterchen, von ihrem „wunderbaren Ausflug“ ins Konzentrationslager Dachau schwärmt. Klar wird aus dem Zusammenschnitt von privaten Archivmaterialien und den eingesprochenen Texten, wie einig sich die Himmlers in ihrem Antisemitismus waren, und wie unhinterfragt die „harte Arbeit“ vom „lieben Heini“ blieb. Himmlers Tochter ist bis heute aktive Unterstützerin der rechten Szene und aktiv in der „Stillen Hilfe“, einer Organisation, die Nazi-Tätern bei ihrer Verteidigung unter die Arme greift.

Lapa stellt in diesem Kontext also auch die ewig wiederkehrenden Fragen: Wie tief verwurzelt ist ein rassistisches, fanatisches Denken, wie trägt es sich weiter von Generation zu Generation? Sieht man heute Dschihadkämpfern dabei zu, wie sie ihre minderjährigen Söhne mit den abgehackten Köpfen von getöteten Menschen vor Kameras posieren lassen, oder hört man sich am Stammtisch ganz „harmlose“ Diskussionen an, in den Begriffe wie „Schwuchtel“ und „Schlitzauge“ fallen – das waren auch alles mal kleine Kinder.

[ Susanne Schulz ]