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Der atmende Gott

Selbsterfahrung oder Zeitdokument

Bei Filmen im Allgemeinen und Dokumentarfilmen im Speziellen stellt sich oft und gerne die Frage, wie der Autor auf die Idee oder mit dem Thema in Berührung gekommen ist. Der neue Film von Jan Schmidt-Garre hält darauf eine sehr sympathische Antwort bereit, weil sie zeigt, daß Filmideen meistens direkt aus dem Leben kommen. Der preisgekrönte deutsche Regisseur, der sich bisher vor allem mit der filmischen Umsetzung von Oper, Theater und Tanz beschäftigte, sollte eigentlich nur seine Frau zur Yoga-Stunde bringen. Jahre später findet er sich beim Dreh in Indien wieder, auf der Suche nach den großen alten Meistern dieser Kunst.

Krishnamacharya, 1890 geboren und 1989 gestorben, gilt als der Begründer des modernen Yoga, so wie wir es heute kennen. Und wie das bei verehrten, aber toten Persönlichkeiten ist, ranken sich viele Legenden um sie. So wurden zum Beispiel die Original-Aufzeichnungen der Übungsabfolgen und -inhalte angeblich von Ameisen gefressen, aber Krishnamacharya, wird erzählt, hat alle im Kopf gehabt. Auch vom Heimatdorf des Meisters ist nichts mehr übrig, nachdem es umgesiedelt wurde, und so kursieren unter den Ältesten der Dorfbewohner verschiedene Versionen der alten Geschichten. Jan Schmidt-Garre sammelt diese Geschichten, die mal informativ sind und mal ins Anekdotenhafte abrutschen, ohne sich von ihnen blenden zu lassen. Er ist neugierig, was die Menschen zu erzählen haben, er urteilt nicht, wählt nicht aus. Das ist einerseits eine große Stärke des Films, führt allerdings auch zu gewissen Längen, die es dem Nichtyogianer schwer machen könnten.

Was wirklich fasziniert, sind die alten Stummfilmaufnahmen des jungen Krishnamacharya beim täglichen Üben. Da der Filmemacher selbst auch Protagonist seines eigenen Films ist, sich von den ehemaligen Schülern des Meisters unterrichten läßt und so den Film unterm Strich zu sehr als persönliche Erfahrungsreise angeht, verpaßt er die wahrscheinlich letzte Chance, diese Geschichte zu erzählen. Was schade ist, zeigt er doch einmalige Einblicke in das Denken und die Übungsräume dieser Zeitzeugen, die inzwischen selbst zu Großmeistern geworden sind.

D 2011, 104 min
FSK 0
Verleih: MFA

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Jan Schmidt-Garre
Drehbuch: Jan Schmidt-Garre

Kinostart: 05.01.12

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...