Originaltitel: EIÐURINN
Island 2016, 110 min
FSK 16
Verleih: Alamode
Genre: Drama
Darsteller: Baltasar Kormákur, Hera Hilmar, Gísli Örn Gardarsson, Ingvar Eggert Sigurdsson
Regie: Baltasar Kormákur
Kinostart: 09.02.17
Finnur hat es mit den Herzen! Sind sie geschädigt und liegen offen vor ihm auf dem Tisch, weiß er als Chirurg, was zu tun ist. Schwieriger wird es, wenn sich ein Herz verschließt, keine Symptome zeigt, die operabel wären. Und noch schwieriger, wenn es sein eigenes ist, er nur noch als Privatmensch zu entscheiden hat. Dann steht schon mal mehr als DER EID auf dem Prüfstand. Dann kommt Hippokrates glatt an seine Grenzen.
Finnur setzt auf Sport und Familie, um im Alltag die Balance zu finden. Straff fegt er auf dem Rennrad über leere isländische Landstraßen, daheim empfangen ihn seine Frau Solveig und die kleine Hrefna. Das sieht friedlich aus! Nur Finnurs ältere Tochter aus erster Ehe macht Probleme. Mit ihren 18 Lebensjahren hat sich Anna schon eine große Kelle Selbständigkeit genommen, lebt mit Freund Ottar zusammen, der ihr nicht nur vom Alter, sondern vor allem im Winkel der schiefen Bahn überlegen ist. Er dealt mit jenen Drogen, die sich auch Anna einverleibt. Den großen Rest macht Ottar zu Geld und bewegt sich in Kreisen, die keinen Spaß verstehen. Finnur handelt. Zunächst versucht der verzweifelte Vater, Anna mit rechten Dingen aus dem Dunstkreis Ottars zu schaffen. Als er jedoch scheitert, als Finnur selbst in der Polizei keine Freunde und Helfer findet, müssen andere Mittel her. De jure heißt es Selbstjustiz, das Kino kennt sich damit aus.
Von Island aus ist es nicht weit nach Amerika. Vielleicht auch deshalb betont Regisseur Baltasar Kormákur, daß er seine Heimat für Hollywood nie wirklich verlassen mußte. Er hat es nur temporär getan. Die Referenz dafür kam nach 101 REYKJAVÍK aus dem Jahre 2000 und gipfelte – im wahrsten Sinne des Wortes – in EVEREST von 2015. Für seinen neuen, rein isländischen Film übernahm Kormákur zugleich die Hauptrolle. Man spürt, daß er sich mit Finnur am besten auskennt.
Die Ruhe, mit der dieser Mann die Angelegenheit seiner Tochter in die Hand nimmt, dabei agiert statt reagiert, immer genügend unsicher erscheint, um glaubhaft zu sein und alles Heldische zu vermeiden, ist frappierend wie verstörend. Spannend aber ist es bis zum Schluß. Denn weniger die Tat steht im Mittelpunkt, sondern – eben – das Herz. Daß DER EID dabei als effizienter Thriller funktioniert und als packendes Familiendrama nicht moralisiert, ist zwingend nötig, bei Baltasar Kormákur allerdings fast schon gesetzt.
[ Andreas Körner ]