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Der Fall Wilhelm Reich

Neulich im Orgon-Akkumulator

Den Besessenen gehört das Kino – wenigstens, wenn es mehr sein will als nur Bilderrauschen. Wo kämen wir hin, wenn den Leinwandhelden und ihren Regisseuren alle Obsessionen ausgetrieben würden! Aber verträgt sich jede mit jeder Leidenschaft? Paßt die Geschichte des Sexualtherapeuten, Kommunisten und Querulanten Wilhelm Reich zum Geschichtenerzählen des Filmemachers Antonin Svoboda?

Reichs Wirken beginnt im Wien der 20er Jahre, wo er als Freud-Schüler dessen Libido-Theorie zur genitalen Triebbefreiungsidee weiterdachte und sich damit nicht nur den Unmut der Kollegen, sondern später auch den der Nationalsozialisten zuzog. In den USA baute er die Überlegungen zum Ausgleich von Trieb-, Lebens- und Atomenergie weiter aus und stach damit in das politische Wespennest der McCarthy-Ära mitsamt ihrer nuklearen Euphorie und antikommunistischen Paranoia. 1957 starb er in einem Gefängnis in Pennsylvania.

Svobodas Obsession für diesen Dr. Seltsam beginnt in den 90er Jahren. Der Absolvent der Wiener Filmakademie bohrte sich in den kulturhistorischen Dunst, der sich um jenes schillernde Fragezeichen des seriösen Wissenschaftsdiskurses gebildet hatte, und drehte die Fernsehdoku WER HAT ANGST VOR WILHELM REICH? (1999). Nun legt er einen Spielfilm nach, der sich auf Reichs letzte Lebensjahre in den USA konzentriert – und leider alle im Thema versteckten Einladungen zur artifiziellen Spekulation, zur großen formalen und gedanklichen Abwegigkeit ausschlägt.

Stattdessen wählt Svoboda den Modus des konventionellen biographischen Filmerzählens, verlegt sich, handwerklich nicht immer glücklich, aufs Epische und Elegische, das hierfür von irgendeinem Langweiler irgendwann einmal zum Standard ausgerufen wurde. Die von Reich erfundene Wolkenkanone wird nicht zur Initialzündung für ein wildes Bilderzerschießen, sein als Orgon-Akkumulator in die Geschichte der Wunderapparate eingegangene Energiesitzkiste gibt nicht Anlaß zum Staunen, sondern reiht sich ein in eine Kette von parawissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten. Denn Svoboda will einen lupenreinen Humanisten rehabilitieren, der nicht etwa an seiner Verrücktheit scheiterte, sondern an den ideologischen Verspannungen der Zeit.

Natürlich war und ist Klaus Maria Brandauer für solche Figuren die erste Wahl. Aber auch dieser Ambivalenzler unter den Charakterfachleuten bleibt ohne den nötigen Spiel-Raum nur Drehbucherfüllungsgehilfe.

Österreich 2012, 110 min
FSK 12
Verleih: Movienet

Genre: Biographie, Drama

Darsteller: Klaus Maria Brandauer, Jeanette Hain, Julia Jentsch, Birgit Minichmayr, Jamie Sives, Gary Lewis, David Rasche

Stab:
Regie: Antonin Svoboda
Drehbuch: Antonin Svoboda
Produktion: Antonin Svoboda

Kinostart: 05.09.13

[ Sylvia Görke ]