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Der große Kanton

Wenn der David mit dem Goliath ....

Die Schweizer. Von den Deutschen und der Welt meist milde belächelt, politisch auf das beharrliche Heraushalten aus dem Weltgeschehen reduziert, dazu täglich gebadet in einer Stereotypensoße aus Schokolade, Uhrwerk und Käse. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Schweizer zurückschlagen würden und es nicht länger beim Stirnrunzeln und heimlichen Fluchen über die großkotzigen Deutschen belassen. Deutschland wird annektiert. Zwar zunächst rein gedanklich, aber mit einer Vehemenz, die man dem ehrgeizigen Bergvölkchen bisher nur beim Geldhorten zugetraut hätte.

Was wäre, wenn Deutschland zum 27. Kanton der Schweiz „aufsteigen“ würde? Der Mann, der dieser Frage mit Filmteam im Rücken allen Ernstes nachgeht, ist der Schweizer Fernsehkomiker Viktor Giacobbo. Und dafür, daß Giacobbo kein, sagen wir mal, Klaus Kleber ist, muß man schon beeindruckt sein, wen der Filmemacher für sein filmisches Gedankenspiel so alles vor die Kamera bekommt. Neben Kollegen aus dem Kulturbereich wie Gerhard Polt und Elke Heidenreich sind es nämlich vor allem Politiker mit Rang und Namen, die sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wie besagtes Szenario das Verhältnis der Deutschen und der Schweizer verändern würde. Den deutschen Interviewten wie Cem Özdemir, Joschka Fischer oder Gregor Gysi ist dabei durchaus anzumerken, daß ein Einschmeicheln gegenüber dem Nachbarn ein tiefes Bedürfnis zu sein scheint. Aufgebrochen werden die Expertenkommentare immer wieder durch Einspieler aus Werbespots, Nachrichtenschnipseln und Giacobbos TV-Sketchen. Die Grenze zwischen Dokumentarischem und Satire ist dabei ebenso wäßrig wie die zwischen Konstanz und Kreuzlingen.

Bei allem Spaß erfährt man am Ende doch so einiges Wissenswertes über die Schweiz selbst sowie über das Verhältnis der beiden Nachbarstaaten und erlangt überraschend tiefgründige Einblicke in die Volksseele beider Länder. Daß die gewonnenen Erkenntnisse vom Filmemacher stetig ironisch gebrochen werden, sieht ihnen wiederum ähnlich, den Schweizern. Denn bei aller Sympathie fürs Augenzwinkern und dem Ansatz, sich selbst bloß nicht zu ernst zu nehmen, so zieht sich Giacobbo trotz seiner radikalen Anfangsthese auf diese Weise natürlich geschickt aus der Affäre.

Oder ist seine satirische Doku am Ende doch eine subversive Vorbereitung auf das unmittelbar bevorstehende Einschweizen Deutschlands? Es bleibt abzuwarten.

CH 2013, 85 min
FSK 0
Verleih: Camino

Genre: Dokumentation, Satire

Regie: Viktor Giacobbo

Kinostart: 11.09.14

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...