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Der große Navigator

Auf Mission im gottlosen Osten

Wiltrud Baier und Sigrun Köhler haben bisher mit zwei wunderbaren Dokumentarfilmen auf sich aufmerksam gemacht. Besser gesagt, nicht auf sich, sondern auf Menschen, die normalerweise außerhalb des Rampenlichts stehen. Prototypisch dafür war HOW TIME FLIES, das äußerst humorvolle Porträt von Sigrun Köhlers 100jährigem Großvater, der in seiner Küche sitzt, Fliegen tot schlägt und mit der Kamera herzlich wenig anfangen kann. Mit großer Zurückhaltung gelang es den beiden Regisseurinnen damals, den alten Herrn in ein Gespräch über Kühe, Rolltreppen und den Sinn des Lebens zu verwickeln: einfach, klar und vollkommen unprätentiös.

Für ihren neuen Film haben sich die beiden nun einen Protagonisten ausgesucht, der schon von Berufs wegen auf alles eine Antwort hat - ein christlicher Missionar. Den wohlbeleibten Schwaben hat es in ein ganz besonderes Entwicklungsland verschlagen, nach Neubrandenburg, wo er tapfer versucht, die gottlosen Ostdeutschen zu bekehren. Doch selbst die, die eigentlich mit ihren Lebensumständen hadern, denken gar nicht daran, sich von diesem selbstgerechten Zugezogenen erzählen zu lassen, wie sie leben sollen.

Scheinbar unbeeindruckt von seinem andauernden Mißerfolg zieht der Missionar weiter durch Jugendtreffs, Diskos und Altenheime - immer auf der Suche nach verlorenen Seelen. Rückschläge kommentiert er fast reflexartig ironisch und selbstkritisch, verweigert dadurch aber jede wirkliche Nähe. Baier und Köhler scheinen von dieser Situation manchmal ein Stück weit überfordert gewesen zu sein. Wo es in ihren früheren Filmen darum ging, wortkarge Menschen zum Reden zu ermuntern, hätten sie hier eher einen anderen Weg gehen müssen, damit ihre Hauptfigur zur Abwechslung auch mal etwas Substantielles von sich gibt. Man kann festhalten: das passiert bis zum Ende des Films nicht ein einziges Mal.

Natürlich ist DER GROSSE NAVIGATOR trotzdem ein Statement für sich, indem er darauf setzt, daß sich sein Protagonist selbst entlarvt. Die gerissene Montage, die humorvolle, aber manchmal etwas zu platte Musikauswahl und nicht zuletzt der wunderbare Titel sind den Filmemacherinnen Kommentar genug. Problematisch ist daran nur eins: um sich als selbstgerechten Hanswurst zu outen, braucht der Missionar streng genommen nicht mal 30 Minuten É Die restlichen 50 Minuten geht einem der göttlich sanktionierte Besserwisser dann einfach nur noch gehörig auf den Geist.

D 2007, 80 min
FSK 12
Verleih: GMfilms

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Sigrun Köhler, Wiltrud Baier
Drehbuch: Sigrun Köhler, Wiltrud Baier
Kamera: Sigrun Köhler, Wiltrud Baier

Kinostart: 06.12.07

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.