Originaltitel: TAILOR
Belgien/D/Griechenland 2020, 101 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen
Genre: Tragikomödie, Poesie
Darsteller: Dimitris Imellos, Tamila Koulieva, Thanasis Papageorgiou
Regie: Sonia Liza Kentermann
Kinostart: 26.08.21
Fast exakt sechseinhalb Minuten – so lange dauert es, bis die ersten Sätze gesprochen werden, und sie sagen dann nichts, was man zwecks Memorierung zwingend in Stein meißeln müßte. Ganz einfach, weil Worte überflüssig sind, wenn Bilder kommunizieren, Blicke, Gesten, Papierboote, Spiegel, Taschenlampen. Ein unerwartetes Lächeln komplexe Gefühlswelten zum Aufscheinen animiert. Man richte sich also auf wenig Verbales und viel neben der Stille zu Entdeckendes ein. Es lohnt!
Für Nikos stellt sich währenddessen die Rentabilitätsfrage völlig anders, der Schneidermeister leidet unter Kundenschwund, Maßarbeit ist heuer kaum gefragt, billig von der Stange soll die Klamotte kommen, Nikos wirkt wie ein Relikt aus früheren, vielleicht wirklich besseren Tagen. Und ähnelt durchaus einem entfernten Verwandten Buster Keatons, so schweigend an seiner Umwelt verzweifelnd, stoisch jede Schmach hinnehmend. Vermutlich auch ungeküßt. Ob daran die attraktive, doch verheiratete Nachbarin Olga etwas zu ändern vermag? Immerhin bringt deren – formulieren wir’s dezent – quirlige Tochter einige Vitalität in Nikos’ stets auf Contenance bedachtes Dasein …
Sogar hier bleibt Zurückhaltung Trumpf, das Geschehen wohliger Seelenbalsam, erwähnte Emotionsuniversen schillern schüchtern, kein kitschiger Schrei gellt, und die Musik versucht in hingebungsvoller Flockigkeit, der grundsätzlich recht melancholischen Geschichte weitere Schwere zu entziehen. Erfolgreich – sie schwebt regelrecht von jeglicher Bodenhaftung losgelöst, fluffig fließend und funkelnd. Wobei Letzteres natürlich ebenfalls Nikos’ neues Tätigkeitsfeld bedingt; daß offensichtlich gerade eine Vermählungswelle durchs Land rollt, diverse Damen folglich nach Hochzeitskleidern gieren, öffnet eine Marktlücke. Bald stapeln sich statt allerlei Anzugstoffen Meere von Tüll, Spitze, Pailletten, und nötigenfalls improvisiert der Experte entschlossen. Wir ahnten es bereits, nun die endgültige Bestätigung: Was teils am Brautfummel hängt und wie ein Tischdeckenfragment aussieht, ist tatsächlich … ein Tischdeckenfragment!
Nikos, dieser sukzessive Ex-Ritter von der traurigen Gestalt, begegnete uns als Sonderling und geht als Freund. Möglicherweise zaubert er aus seinem klapperigen, ständig den Verkehr aufhaltenden Präsentations-Wägelchen Marke Eigenbau vorher aber noch den reizendsten Film im Leben mancher Frau.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...