Gerade ist mit CAPTAIN PHILLIPS ein Hollywooddrama in den Kinos, das Tom Hanks als heldenhaften Kapitän eines von somalischen Piraten gekaperten Frachtschiffes zeigt. Im selben Jahr kam auch die Crew eines deutschen Frachters vor der somalischen Küste in die Gewalt von Piraten. Wie Phillips setzte sich auch der Kapitän der Hansa Stavanger für eine Befreiung seiner Mannschaft ein. Durch eine Lösegeldzahlung kam die Besatzung nach vier Monaten Geiselhaft frei. Allerdings ist die Geschichte von Krzysztof Kotiuk keine Heldengeschichte. Von seiner Crew ausgegrenzt, war es ausgerechnet einer der Anführer der Piraten, der Kotiuk durch Zuwendung genug Lebensmut gab, um die schwersten Monate seines Lebens zu überstehen. Ko-Regisseur Andy Wolff hat das Kunststück vollbracht, diesen Piraten in Somalia ausfindig zu machen und verschmilzt sein Material zum außergewöhnlichen Porträt zweier Männer, die eigentlich Feinde waren und doch zu Freunden wurden.
Beide Männer zeichnen zunächst ein wenig schmeichelhaftes Bild voneinander. Kotiuk nennt seinen lange Zeit einzigen Beistand an Bord immer wieder einen „primitiven Mann.“ Der dauerhaft Tabak kauende Pirat Ahado spricht über den Kapitän als einen „alten Mann, den niemand an Bord respektierte.“ Doch je länger die Kamera die ehemaligen Antagonisten begleitet, Kotiuk bei seiner zermürbenden Traumatherapie in München und Ahado bei seinem Alltag an der Küste Somalias, desto mehr nähern sich die Schilderungen der beiden Männer an. Sie münden in einer gegenseitigen Respektsbekundung, die deshalb so berührt, weil sie von einer Überwindung vermeintlich unüberwindbarer zwischenmenschlicher Grenzen zeugt. Von einer Werteverwandtschaft, die angesichts der Entfernung beider Lebenswelten beeindruckt.
Das Possessivpronomen im Titel trifft diese kurios-zarte Verbindung der beiden Männer nach dem gemeinsam Durchgestandenen perfekt. Während das Leben des Piraten im nahezu gesetzesfreien Somalia weiterhin von täglichen Extremsituationen bestimmt ist, steht der Kapitän im beschützten München vor den Trümmern seiner Laufbahn. Als Andy Wolff dem einstigen Kommandeur am Ende den Rohschnitt seines Films zeigt, ist Kotiuk sichtlich ergriffen. Dem Zuschauer wird es nach dem Erleben dieses starken Porträts ebenso gehen. Und eines hat diese Doku dem oben erwähnten großen Drama aus Amerika trotz aller Kunstfertigkeit voraus: die natürliche Ambivalenz der Realität.
D/Belgien 2012, 84 min
Verleih: Cinelibre
Genre: Dokumentation
Regie: Andy Wolff, Stefanie Brockhaus
Kinostart: 26.12.13
[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...