Ein Schrei löst sich aus der noch schwarzen Leinwand. Doch in dem mutig-lauten Ankunftsgeräusch des neugeborenen Kindes klingen schon Sorge und Verzweiflung. Denn was Grund zu ausgelassener Freude sein sollte, löst bei der jungen Mutter des Erdenneulings Bestürzung aus. Ungläubig fragt sie wieder und wieder nach - die Hebamme gibt wieder und wieder die selbe Antwort: "Es ist ein Mädchen."
Mit dieser befremdenden Szene läßt Regisseur Jafar Panahi seinen Film beginnen. Und doch zeigt die grausame Geometrie, mit der er die Geschichten von Frauen in Teheran aneinander knüpft, daß man auch anders anfangen könnte, daß dies eben nur ein Punkt auf einem Kreis ist. Was auf jener Entbindungsstation geschieht, könnte sich auch bei der Geburt von Arezou oder Nargess ereignet haben. Sie sind auf Hafturlaub und irren durch die Stadt. Die naive Nargess will Teheran verlassen, um auf dem Land, an einem paradiesischen Ort, zu heiraten. Um Geld für die Reise zu beschaffen, läßt sich ihre Freundin auf ein Geschäft ein, das im Dunkeln bleibt, aber Furchtbares bedeuten muß. Pari, die ebenfalls aus der Haft entlassen wurde, wird von ihren Brüdern brutal hinausgeworfen. Sie ist schwanger, aber nicht verheiratet, sie will abtreiben lassen, bekommt aber keine Hilfe. Auf der Straße beobachtet sie, wie eine andere Verzweifelte versucht, ihr Kind zu verlassen. Das kleine Mädchen weint, und der Mutter bricht es in ihrem Versteck beinahe das Herz.
Trotz des konsequent durchgehaltenen dramaturgischen Konzeptes einer nahezu ununterbrochenen Kreisbewegung, die Gesichter nur schlaglichtartig beleuchten kann, wird man jede der Frauen besonders finden. Doch Panahy begnügt sich nicht damit, Traurigkeiten kunstvoll aufzuzählen. Er hat einen unbequemen Film gemacht, der aus jeder Pore Anklage atmet. Die Kamera scheint ebenso geduckt und gehetzt wie die verängstigten Frauen. Und sie hat auch die kleinen Dinge entdeckt: lüsterne Blicke von Männern, die eine Frau wahrscheinlich erschlügen, würde sie darauf auch nur mit einem Blinzeln eingehen, Zigaretten, die ihnen in der Öffentlichkeit verboten sind, und heimlich in Hauseingängen geraucht plötzlich zum Sinnbild für die Freiheit werden.
Originaltitel: DAYEREH
Iran/I 2000
Verleih: Alamode
Genre: Drama
Darsteller: Maryam Parvin Almani, Nargess Mamizadeh, Fereshteh Sadr Orfani
Regie: Jafar Panahi
Kinostart: 25.10.01
[ Sylvia Görke ]