Originaltitel: LE DERNIER LOUP
F/China 2015, 119 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch
Genre: Drama, Literaturverfilmung
Darsteller: Feng Shaofeng, Shawn Dou, Ankhnyam Ragchaa
Regie: Jean-Jacques Annaud
Kinostart: 29.10.15
1967 wird der Student Chen Zhen aus Peking in die mongolische Steppe delegiert. An der Seite eines nomadischen Hirtenstamms soll er, ganz kommunistischer Doktrin entsprechend, mit seiner Hände Arbeit die landwirtschaftlich Werktätigen unterstützen. Und ihnen zugleich Lesen, Schreiben und, so möglich, wohl auch irgendwie die Grundzüge materialistischer Dialektik beibringen.
Allerdings begreift Chen Zhen, glücklicher- und sympathischerweise alles andere als ein dogmatischer Junggenosse, schon bei seiner Ankunft, daß hier draußen in der imposanten Graslandweite er derjenige ist, der zu lernen hat. Zumal er sehr empfänglich ist für das Leben in der Natur, die Bräuche der Nomaden, ihre Legenden und Gesetze. Die größte Faszination aber üben auf Chen Zhen bald jene majestätischen Tiere aus, deren Lebensraum er zunehmend bedroht sieht: Es sind die Wölfe, denen er geradezu verfällt. Als Chen Zhen eines Tages einen verwaisten Welpen heimlich bei sich aufnimmt und großzieht, löst das eine Kette dramatischer Ereignisse aus.
In China ist Lü Jiamins Roman „Der Zorn der Wölfe“ ein Bestseller, dessen Verfilmung nur eine Frage der Zeit war. Daß es jetzt just Jean-Jacques Annaud ist, der das Werk für die Leinwand adaptierte, ist zumindest eine Erwähnung wert. Galt der Regisseur doch seit seinem Film SIEBEN JAHRE IN TIBET (1997) in der Volksrepublik lange als Persona non grata. Lü Jiamin selbst habe sich, so heißt es, indes für Annaud als Regisseur eingesetzt. Wohl eingedenk durchaus überzeugender Arbeiten mit einschlägigen Sujets (DER BÄR, ZWEI BRÜDER).
Wie auch immer: Es war eine gute Entscheidung seitens der staatlichen „China Film Group Corporation“, über etwaige ideologische Schatten zu springen und Annaud den Stoff anzuvertrauen. Wobei man, auch wenn es etwas ketzerisch klingen mag, sagen muß: Der Schauwert des Films verdankt sich dann doch eher weniger der Regie. Die changiert, wenn auch auf handwerklich fraglos solider Basis, gern zwischen ökologisch mahnend und emotional pathetisch. Daß der Film weit darüber hinausreicht, verdankt sich der Arbeit zweier anderer daran Beteiligter.
Kamermann Jean-Marie Dreujous ist einer davon. Die Balance zwischen stillem Beobachten und geradezu opernhafter Gemäldehaftigkeit beherrscht er mit Bravour. Grandios die Panoramen, packend die auf Wolfsaugenhöhe übers Steppengras fliegende Kamera, die auch in der Rasanz gestochenen Fokussierungen. Nicht zuletzt die hier mal sinnvoll und gekonnt inszenierte 3D-Raumtiefe. Und schließlich, ein Kinohöhepunkt erster Güte, diese geradezu apokalyptischen Bilder eines nächtlichen Schneesturms. Pferde, die in Panik vor einem Wolfsrudel fliehen, durchs Eis eines Sees brechen und dort am nächsten Morgen den surreal-schönen Anblick zu Skulpturen gefrorener Kreaturen bieten.
Nein, das hat man so noch nicht gesehen. Wie auch jene Wolfsszenen nicht, die sich neben Kameramann Dreujous vor allem Tiertrainer Andrew Simpson verdanken. Geradezu choreographische Qualität haben da die Jagden des Rudels, von gefährlich intimer Fragilität sind die Szenen zwischen Chen Zhen und „seinem“ Wolf. Daß aber bei allem großen Gefühl, welches dabei aktiviert wird, Kitsch und klischierende Naturromantik außen vor bleiben, ist wiederum ein Pluspunkt, der dann doch auf das Konto Annauds geht.
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.