Originaltitel: THE LIGHTHOUSE
USA 2019, 110 min
FSK 16
Verleih: Universal
Genre: Psycho, Drama
Darsteller: Willem Dafoe, Robert Pattinson, Valeriia Karaman
Regie: Robert Eggers
Kinostart: 28.11.19
Wenn bei Regisseur Robert Eggers Figuren in die Wildnis ziehen, nimmt das ein böses Ende. Das mußte bereits die Siedlerfamilie in seinem Debütfilm THE WITCH erfahren, die im 17. Jahrhundert im finsteren Wald dem eigenen Wahn erlag, und auch Eggers’ neuester Streich DER LEUCHTTURM setzt an ähnlicher Stelle an. Erneut ein historischer Stoff, wir sind im ausgehenden 19. Jahrhundert, nur dieses Mal im maritimen Setting. Da wird der junge Ephraim Winslow auf einer kargen Insel abgesetzt, wo er dem grantigen Leuchtturmwärter Thomas Wake assistieren soll. Die Fähre zur Zivilisation verschwindet im Nebel, und so viel darf verraten werden, sie wird auch nicht zurückkehren. Die beiden Männer sitzen auf der Insel fest, schuften, grummeln, brüllen, saufen bis zur Besinnungslosigkeit, liefern sich ein aggressives Psychoduell, bis wortwörtlich der Sturm losbricht. Und was für einer!
Eggers’ Film ist in jeglicher Hinsicht eine Naturgewalt, inszeniert mit radikaler Formstrenge. Wann hat man schon zuletzt solche erschaudernd schönen Bilder gesehen? Gedreht mit alten Linsen aus dem frühen 20. Jahrhundert, schwarz-weiß, fast quadratisches Format. Wie eine Sammlung alptraumhafter Fotografien aus vergangener Zeit oder auch wie ein expressionistischer Stummfilm, voll von großen Gesten, handgemachten Effekten und surrealen Ideen. Schon länger ist Eggers für ein Remake des Murnau-Klassikers NOSFERATU im Gespräch, nach diesem Film hier scheint er der perfekte Kandidat. Mitunter wird kaum ein Wort gewechselt, stattdessen donnert das brachiale Nebelhorn durch den Kinosaal, der Wind peitscht einem um die Ohren, und die nervenzerrende Musik tut ihr übriges. Alles ist naß und dreckig, die Sets stehen unter Wasser, die Sinne schwinden. Danach will man erst einmal eine warme Dusche!
Und mittendrin Darsteller, die sich in diesem triefenden Gefängnis um den Verstand spielen. Der eine, Willem Dafoe, stößt erschütternde Flüche aus, die Augen quellen irre aus dem Gesicht. Der andere, Robert Pattinson, ein unzuverlässiger Erzähler, gleitet in Trunksucht, Traumata und sexuellen Trieben in den Wahnsinn. Das braucht in der theatralen, sich langsam steigernden Eskalation durchaus seine Zeit, eine gewisse Sperrigkeit läßt sich nicht leugnen. Was das alles am Ende zu bedeuten hat, ist jedenfalls nicht so einfach zu erklären wie im Debüt des Regisseurs, das die gefährliche Eigendynamik religiöser Hysterie untersucht hat. Der wilde Mix aus psychotischem Kammerspiel, Gothic Horror, Lovecraft-Mystik, unheimlichen Seefahrerlegenden und antiker Mythologie eröffnet eine Vielzahl an Deutungsmöglichkeiten, deren Entschlüsselung man eigentlich nur mit den zahlreichen literarischen und philosophischen Bezügen begegnen kann. Parabel über die Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts? Ein moderner Prometheus? Ja, sogar Analogien zu Platons Höhlengleichnis sind dabei. Der Aufstieg zum Licht als oberstes Ziel, doch was geht dort oben in der Leuchtturmkuppel eigentlich vor sich?
Darüber kann man ewig grübeln, oder aber man läßt sich einfach von dem Sirenengesang, von dem fiebrigen Rausch mitreißen und vergißt gemeinsam mit den Figuren jegliches Zeitgefühl. Das verstörende Schlußbild brennt sich jedenfalls ein, außerdem wurden wir ja gewarnt: Es bringt Unglück, einen Seevogel zu töten ...
[ Janick Nolting ]