Ja, ja, ja, bitte, wir wollen große Kinostoffe. Die Filmhochschulabsolventin Maren Ade hat so einen gefunden - hinten im Regal, gut getarnt, weil er so unscheinbar aussah, weil er so ätzend echt ist, daß andere lieber die Finger davon lassen. Es ist das giftig-komische, bittere Porträt der Melanie Pröschle.
Sie gehört zu jenen rührend bemühten, anstrengend verbindlichen, praktischen Jeans-und-Pulli-Menschen, die mal eben auf einen Kaffee reinschauen, das Kuchenblech vom Selbstgebackenen dalassen, um anderntags wiederkommen zu dürfen. Ungefragt wischt sie selber den Tisch ab und sagt furchtbare Sachen wie: "Klingelscht oifach, erschter Stock, i bin oft da."
Frau Pröschle ist oft daheim anzutreffen, weil sie in Karlsruhe noch keinen kennt und keiner sie kennen will. Ihre erste Stelle als Lehrerin tritt die Schwäbin hier an, "frischen Wind" hat sie von der Uni mitgebracht und scheitert schnell, still und tragisch: an ihrer Naivität, an Kakao-schmeißenden, modisch benamsten Rotzlöffeln (der Schang-Louis war beim Herrn Lützig eine ganze Note besser!), genervten Kollegen und einer noch genervteren neuen Freundin, die gar keine sein will. Tina von gegenüber wehrt sich gegen die freundlich-aufdringliche Besatzerin, schließlich so schroff, daß es auch Melanie nicht mehr übersehen kann.
Eine bösartige Komödie, sarkastisch und schwarz, unerbittlich und genau? Ganz sicher, aber ganz anders. Denn in ihrem Abschlußfilm zieht Ade so lange an einem kleinen Fädchen Alltag, bis hinter Floskeln wie "Danke, gut" und "Wir sehn uns" echte Verzweiflung zu spüren ist. Video-Format, unprätentiöse Inszenierung, der fast dokumentarische Blick für Klitzekleinigkeiten, Peinliches und Unangenehmes, die kein warmes Licht veredelt, offene Ohren für Nebensätze. Einmal mehr zeigt sich, wie unverschämt fordernd formale Bescheidenheit sein kann.
Hier werden keine Köpfe aufgeschraubt, um in Seelen gucken zu können. Maren Ade und ihre Hauptdarstellerin Löbau, die glänzend eine Glanzlose spielt, nehmen einen wunderbaren Umweg: Schwäbischer Dialekt als tragikomische Übersetzung innerer Provinzialität, eine Wohnung, die langsam verwahrlost, an der man ablesen kann, was Melanie Pröschle niemandem erzählt. Sie kann nicht mehr.
D 2003, 81 min
Verleih: Timebandits
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Eva Löbau, Daniela Holtz, Jan Neumann
Stab:
Regie: Maren Ade
Drehbuch: Maren Ade
Kinostart: 03.03.05
[ Sylvia Görke ]