Originaltitel: CE QUI NOUS LIE
F 2017, 114 min
FSK 0
Verleih: StudioCanal
Genre: Drama, Poesie, Familiensaga
Darsteller: Pio Marmaï, Ana Girardot, François Civil, Jean-Marc Roulot, María Valverde
Regie: Cédric Klapisch
Kinostart: 10.08.17
über dem Weinberg und dessen prallen Reben weckt es diffuse Melancholie, ungewisse Sehnsucht, eine Vorahnung künftiger Veränderungen möglicherweise? Und tatsächlich setzt sogleich der stetig wiederkehrende Jahreszeitenwechsel ein, vergehen einige Jahre, schließlich stirbt der Besitzer des Gutes. Ein weiterer Zyklus findet zur unvermeidlichen Vollendung.
Worauf ein Neubeginn folgt, ganz im Sinne der Metapher sich schließender und öffnender Türen. Oder doch eher ein Zweitversuch, eine Wiederannäherung, ein Rückbesinnen? Drei Geschwister, die Erben des toten Vaters, übernehmen neben dem Betrieb und somit der Familientradition ebenfalls die Aufgabe, miteinander zu arbeiten, zusammenzuleben. Keine unbedingt einfach überwindbare Hürde, wenn alte emotionale Wunden, lediglich oberflächlich verkrustet statt wirklich verheilt, unvermittelt urgewaltig aufplatzen und nicht daran denken, Frieden zu geben.
Zwölf Monate lang begleitet Cédric Klapisch nun den Weg des Weines von der Rispe in die Flasche, bebildert jenen Reifeprozeß inklusive aller notwendigen betriebswirtschaftlichen und qualitativen, ergo rationalen, Entscheidungen auf erstaunlich poetische Weise: tastende Finger, die Kerne begutachten, Trauben kostende Münder, unaufdringliche Close-ups, den Protagonisten nahekommend, ohne ihnen auf die Pelle zu rücken. Wobei Nähe sowieso das hiesige Schlüsselwort stellt und etwas definiert, das Jean, Schwester Juliette und Bruder Jérémie erst reaktivieren müssen.
Wie Rückblenden zeigen, gab es einst ein starkes Band zwischen den Kindern, ihrem Papa und dem Wein, sogar an Verkostungen durften sie teilnehmen. Verantwortungslos? Ein lausiges Vorbild? Vielleicht. Aber liebevoll. Zumindest damals, denn irgendwas muß Jean ja dazu getrieben haben, Frankreich den Rücken zu kehren, auszuwandern. Was genau, enthüllt Klapisch meistenteils völlig ruhig, flieht generell dröhnende Auseinandersetzungen, sucht Kontraste, lockt das humane Dunkel inmitten des hellsten Sonnenscheins hervor. Oder sinniert darüber, wie die Kraft der – negativen – Erinnerung entscheidend das beeinflußt, was gerade jetzt geschieht: Das Gegenwärtige kann den Würgegriff des Vergangenen zwar lockern, ihn komplett abschütteln ist hingegen ausgeschlossen. Erneut beweist da Klapisch seine vormals schon oft beglaubigte inszenatorische Meisterschaft, indem er potentiell schwere Gedanken locker-leicht auf die Leinwand tupft, Stimmungen und Zurückhaltung ersetzen Erklärungen und Offensive.
Was am Ende bleibt? Fertiger Wein sowie weiterhin sympathisch unfertige Menschen, denen bewußt wurde, daß sie den unglaublich kostbaren Schatz namens vertane Zeit niemals zurückholen können. Söhne, die zu Vätern heranwuchsen, und die es hoffentlich schaffen, gewisse Fehler ihrer Ahnen zu vermeiden, den Wiederholungskreis zu durchbrechen. Final ein magisches Treffen zweier Jeans unterschiedlichen Alters. Mit – pardon – ziemlich dicken Eiern.
So weit die Handlungsebene. Betrachten wir schließlich noch, was Klapisch & Co. aus all jenen kaum über konkrete Sujets, sondern entlang eines Themendoppels erzählenden Szenen zaubern: einen dieser wirklich besonderen Filme, nach dessen Erleben man die alltägliche Welt „draußen“ zumindest vorübergehend bloß als laut wahrnimmt, da das mehr Aufgesogene denn Gesehene in gleichermaßen emotional und intellektuell angeregte Tiefenentspannung entführte.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...