Ohne Vorspann knallt das Drama mitten rein ins Geschehen: Thierry ist wütend, und er läßt es raus. Dem mittelalten Langzeitarbeitslosen wurde vom Amt eine vollkommen sinnlose Umschulung aufgebrummt, daß nie eine Chance auf Übernahme bestand, stellt sich jetzt heraus. Wieder Zeit verloren, wenige Monate verbleiben, dann muß Thierry von 500 Euro leben.
Verzweiflung galoppiert heran, die Gattin steht zwar ihrem Mann bei, zum Glück, aber es fehlt an Geld. Die beflissene Bankangestellte genehmigt einen Kredit, und weil wir grade dabei sind, käme eine Todesfallversicherung doch ebenfalls gelegen, nicht wahr? Wäre schon schade, wenn Thierry finanziell total ungebremst einfach in die Grube fährt. Aber plötzlich glimmt ein Hoffnungsflämmchen: Der Konsumtempel nicht weit entfernt sucht Security-Verstärkung – fortan sitzt Thierry hinter unzähligen Überwachungskameras, verfolgt den ganzen Tag potentielle Ladendiebe, stellt räuberische Rentner, die mal ordentliches (sprich: für sie unbezahlbares) Fleisch essen wollen, an den Pranger und deckt einen internen Skandal auf; Kassiererinnen erschleichen sich Treuepunkte und Rabatte. Die Konsequenzen sind furchtbar ...
Aus formaler Sicht mag theoretisch Irritation herrschen, weil endlos lange Szenen, quasi nur bei Schauplatzwechseln gesetzte Schnitte sowie jede Spielerei ablehnende Kameraführung gängige Vorstellungen des „Filmischen“ unterwandern, parallel den Mimen – an vorderster Front Vincent Lindon als Thierry, eine in Cannes prämierte Darstellung – höchste Konzentration abverlangen. Alles verbunden entfaltet sich praktisch allerdings höchster Realismus, dessen enorme Sogwirkung geradewegs ins Geschehen reißt, während Regisseur Stéphane Brizé erbarmungslos den Kloß im Zuschauermagen vergrößert. Egal, ob Thierry nun ein demütigendes Bewerbungsgespräch per Skype führt, ihn anschließend auf Allwissenheitswegen schreitende Personaler faktisch zerpflücken, oder der aus Not erfolgende Verkauf des erinnerungsreichen Strandhauses zur erniedrigenden Feilscherei ausartet: Hier kämpft ein Mann um den letzten Rest Würde, welchen ihm das System noch ließ. Und verrät sie nach der Wiedereingliederung gezwungenermaßen selbst. Wegen ein paar Treuepunkten.
Die letzte Szene schließlich könnte kaum bezwingender sein: still, human, widerständig, deutlich. Ein Abgesang, dem Gänsehaut folgt.
Originaltitel: LA LOI DU MARCHÉ
F 2015, 93 min
FSK 0
Verleih: Temperclay
Genre: Drama
Darsteller: Vincent Lindon, Karine De Mirbeck, Matthieu Schaller, Yves Ory, Xavier Mathieu
Regie: Stéphane Brizé
Kinostart: 17.03.16
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...