Ein Ort zum Leben ist es nicht: Wasser tropft aus einem verrosteten Hahn, kalte Betonwände umschließen ein Bett, und da wären noch ein paar persönliche Sachen, mehr besitzt Claudia nicht. Sie lebt in dieser garagenartigen Behausung, und wenn sie nicht in einem Supermarkt Wurst oder Haarentfernungswachs an Laufpublikum vertickt, sammelt sie lilafarbene kreisrunde Cornflakes aus der Milch ihres Müslis und beobachtet stillschweigend die Ameisen, die sich über das gefundene Fressen freuen. Die junge Frau hat sich in ihrer Einsamkeit eingerichtet. Doch die Tristesse ihres Alltags – bestehend aus Essen, Schlafen und Arbeiten – erhält plötzlich eine andere Dynamik, als sie Martha kennenlernt. Deren Leben ist das ganze Gegenteil: Als Mutter von vier Kindern hat sie kaum Zeit für sich selbst, zudem schleppt sie eine schwere Krankheit auf ihren Schultern, die sie aber nicht daran hindert, dem Leben zuversichtlich gegenüberzustehen. Quasi über Nacht wird Claudia in das turbulente Familienleben hineinkatapultiert und muß mit ansehen, wie jedes von Marthas Kindern mit der Schwere der Situation umgeht. Ganz automatisch übernehmen sie Verantwortung für ihre Mutter und verlieren so ein Stück Unbeschwertheit ihrer Jugend.
Mit viel Feingefühl erzählt die mexikanische Regisseurin Claudia Sainte-Luce in ihrem Film aus dem Innenleben einer auseinanderbrechenden Familie. Sie bleibt ganz nah am Alltäglichen, alles spielt sich beim Mittagessen, im Krankenhaus oder im Supermarkt ab. Genau diese scheinbaren Banalitäten spiegeln den Wert, den eine Familie haben kann. Selbst das Wurstverkaufen entwickelt plötzlich Unterhaltungspotential, als die beiden Kinder Armando und Mariana Claudia in den Supermarkt begleiten.
Für den Film bedient sich Sainte-Luce an ihrer eigenen Geschichte. Mit Anfang 20 hatte sie eine schwerkranke Mutter und deren Kinder kennengelernt und war Stück für Stück in dieses soziale Konstrukt hineingerutscht, mal als Mutter, mal als Freundin. Das Abschiednehmen hat ihr das Alleinsein madig gemacht. „Ich glaube, wir müssen mit dem Tod an unserer Seite schlafen, um das Leben so zu leben, wie es sein soll“, sagt die 32jährige über diese Zeit. Mit ihrem Film hat sie mittlerweile auf mehreren Festivals Preise gewonnen. Er berührt und öffnet die Augen für das, was dem Leben Sinn gibt: für andere da zu sein. Im besten Fall braucht es dafür keine schweren Schicksalsschläge.
Originaltitel: LOS INSÓLITOS PECES GATO
Mexiko/F 2013, 89 min
FSK 0
Verleih: Arsenal
Genre: Poesie, Drama
Darsteller: Ximena Ayala, Lisa Owen
Regie: Claudia Sainte-Luce
Kinostart: 10.07.14
[ Claudia Euen ]