Österreich 2024, 121 min
FSK 16
Verleih: Plaion

Genre: Drama, Historie

Darsteller: Anja Plaschg, Maria Hofstätter, David Scheid, Elias Schützenhofer

Regie: Veronika Franz, Severin Fiala

Kinostart: 14.11.24

2 Bewertungen

Des Teufels Bad

Wenn die schwarze Galle überläuft

Historikerin Kathy Stuart erzählt in ihrer Arbeit „Suicide By Proxy: The Unintended Consequences Of Public Executions In Eighteenth-Century Germany“ von Agnes Catherina Schickin: Die 30jährige Schorndorfer Magd kam am 24. Mai 1704 nach Krummhardt, sprach dort vier (ihre eigene Formulierung) „schöne kleine Jungen“ an und ging mit Hans Michael Furch, Sohn des Kuhhirten, zum Wald. Wo Schreckliches passierte.

Soweit die belegten Fakten, entnommen Verhörprotokollen. Der sie thematisierende Film nun zeigt uns Agnes zunächst hoffnungsfroh und optimistisch, frischgebackene Gattin des Bauern Wolf – welcher ihr allerdings sofort klarmacht, was sie erwartet, konkret eine Zukunft als tags hart schuftende, seitens einer verbitterten Schwiegermutter um etwaige Eigeninitiative gebrachte Arbeitskraft und abends kochende Gebärmaschine. Doch Wolf begehrt sie nicht, packt scheinbar lieber beim Mannsvolk an. Sukzessive versinkt die junge Frau „in des Teufels Bad“, modern nennt man’s Depression.

Das wirklich schwer Erträgliche daran sind weder die trotz früher Neuzeit tief mittelalterlich anmutenden Heilungsmethoden – daß die seinerzeitige Ärzteschaft Eiterbildung vermeintlich reinigende Wirkung zuschrieb, hat wahrhaft abstoßende Konsequenzen – noch mit einiger Deutlichkeit inszenierte Szenen von Suizid, Mord und Hinrichtung. Hammerharten Druck verübt die mitleidlose Beobachtung ganz alltäglicher Grausamkeit: Da findet es ein Hochzeitsbrauch total unterhaltsamen Jux, zu alkoholisierter Grölerei ein Huhn zu töten. Später folgt ihm eine Ziege, wobei der vorgebliche Spaß schon längst ein Ende nahm, es ums Überleben geht. Und Nachbar Lenz wird nach Erhängung nicht christlich begraben, sondern auf irgendeinem Acker zum Tierfraß, seiner unrettbar verdammten Seele wegen.

In solchem Umfeld vegetiert Agnes (sensibel, sich Kinder wünschend, künstlerisch begabt, vogelfrei) verloren dahin, siecht am stetig in sie tröpfelnden Giftcocktail aus Forderungen, Provokationen und Ablehnung, schwallartig ergießen sich Sabber und Kotze, Ströme von Rotz und Wasser fließen, die mentale Verdunklung gewinnt unaufhaltsames Tempo. Und hallt weit, tönt ins Jetzt, offenbart Universalität, berichtet über schmerzhaftes Außenseitertum, die entgegengebrüllte Ansage, den festgeklopften gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Ansprüchen kaum je zu genügen. Wer anders fühlt, denkt oder aussieht, bleibt draußen, ob auf dem Spiel- oder am Arbeitsplatz.

Diese fluide Vermischung, die Schnittmenge zwischen Damals und Heute, verhindert simples „Ach, Vergangenheit!“-Abstreifen, kurzes Schütteln und zurück zur Normalität. Auch, weil manches sich wohl nie ändert, Zeitenwende hin oder her, es zu unauslöschlich im Humanen verankert steckt. Zwar mag man, wie’s hier geschieht, seine „untaugliche“ Ehefrau vielleicht nicht mehr einfach ans Elternhaus retournieren, aber patriarchalische Strukturen ausmerzen? Ein gewagter Traum.

Zwangsläufig erfüllt sich Agnes’ Schicksal, voller sinistrer Eindringlichkeit, welche vor final verstörender Texttafeleinblendung die Gänze menschlicher Abartigkeit spiegelt. Durch ein widerwärtiges Volksfest; eine Belustigung bar jeglicher Empathie, ein – wortwörtlich – blutdurstig taumelndes Gejohle, ein Abstieg in die rachsüchtige Hölle des Wunderlandes Oz: „Ding Dong, die Hex’ ist tot!“

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...

Des Teufels Bad ab heute im Kino in Leipzig