4 Bewertungen

Dessau Dancers

Brechtanzen für Frieden, Freundschaft und Solidarität

Sich filmisch in satirischer Überhöhung und historisierender Ausstattung über Jugend in der DDR auszudrücken, hatte mit SONNENALLEE bestens geklappt. Trotz schrägen Witzes, skurrilen Figurenkabinetts und frechen Geposes gelang es Leander Haußmann einst, bei aller Komik den Ernst von eingeschränkter Freiheit, das seelische In-den-Seilen-Hängen durch repressives Behördengetrampel spürbar zu halten. Das gelingt auch Jan Martin Scharf in seinem zweiten Kinofilm gut. Weil er seinen Figuren Brüche zuschreibt und, ganz menschlich, Fehler an die Brust heftet.

Im Zentrum steht der 18jährige Frank, der Mitte der 80er Jahre in einer Dessauer Platte wohnt, allein mit seinem Vater, die verstorbene Mutter fehlt dem Jungen. Mit dem Alten ist es schwierig, seit geraumer Zeit hängt er nur noch zu Hause rum und zeigt wenig Verständnis, als sein Sohn sich endlich wieder für etwas begeistern kann. Auslöser für Franks Euphorie ist der gerade in den Kinos gestartete Film BEAT STREET, den er sich mit seinen Freunden immer wieder anschaut, Tanzszenen beklatscht und schließlich selbst mit dem Breakdance anfängt.

Ihren ersten Versuchen beizuwohnen, ist amüsant, allein die noch etwas ungelenken Moves auf Dessaus brüchigem Pflaster vor einem Fleischerladen sind brüllkomisch, andere Tanzeinlagen im Trainingsanzug an brav aufgehängten DDR-Fahnen vorbei haben schon gehörigen Gay Musical Touch, wobei man sich dann kurz fragt, woher eigentlich der dritte Streifen auf dem Trainingsanzug kommt. Man erinnert eigentlich nur den Zweistreifigen, DDR-Adidas eben. Egal, an hundertprozentigem Echtheitsgetue konnte es Scharf nicht gelegen sein, ihm ging es mehr um versuchte Freiheit, geprüfte Freundschaft und den Drahtseilakt, Verführungen nicht zu erliegen. Denn naturgemäß rufen die artistischen Betätigungen der Jungs die Herren im Trenchcoat auf den Plan, die helleren Köpfe unter den Stasischergen erkennen schnell: Verbot bringt dieses Mal nix, erlaubt soll ein eigener, ein sozialistischer Breakdance sein, der von ihnen flugs nach einem irrwitzigen Vortanzen vor einer Prüfungskommission als „akrobatischer Schautanz“ katalogisiert wird. Franks Clique erhält den „B-Schein“, was ihnen das Touren in der DDR erlaubt.

Das ist der Moment, von dem an DESSAU DANCERS einen ernsthafteren Ton kriegt, was logisch ist: Nicht jeder in der Gang findet die Idee vom staatlich kontrollierten Tanz toll. Nach anfänglicher Begeisterung durch Ruhm und Anerkennung klappert es gehörig im Cliquengefüge: Frank und sein Kumpel verlieben sich in das gleiche Mädchen, das Verbiegen nach FDJ-Norm nimmt immer skurrilere Formen an, die Jungs werden erpreßbar. Diese Konflikte tun der Geschichte gut, auch wenn sie gottlob derart dosiert sind, daß die Komödie nicht versandet. Allein die selbstironisch inszenierten „Battles“ sind herrlich anzuschauen, auch, weil man sich gerade hier nicht übermäßig Mühe gab, die Schnitt-raumschere leise schnappen zu lassen. Es gibt freche Oneliner wie: „Wir dancen für Frieden, Freundschaft und antiimperialistische Solidarität“, der dem tumben Motto der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 frei entliehen wurde. Scharf gelingt es, trotz mancher zu schluffig entworfener Figur, ein Gefühl davon zu erzeugen, wie es damals war, jung zu sein, als man Gottschalk in der Westglotze noch cool fand.

Gordon Kämmerer als Frank ist gut besetzt, in dessen weichem Gesicht zeigen sich glaubwürdig Trauer, Wut, Ausbruchsstimmung und schließlich auch ein Hauch von Resignation. Kein glatter Held, dem gerade deswegen die anrührende Schlußszene zwischen Vater und Sohn vergönnt sein muß.

D 2014, 90 min
FSK 0
Verleih: Senator

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Gordon Kämmerer, Wolfgang Stumph, Justus von Dohnányi

Regie: Jan Martin Scharf

Kinostart: 16.04.15

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.