Hemingway mochte markige Sprüche: „Davor gab es nichts, danach ist nie wieder etwas so gut gewesen“, schwärmte er – und zwar zu Recht – über Mark Twains „Huckleberry Finn.“ Und man kann davon ausgehen, daß der olle Hem da sogar nüchtern war, weil dieses Buch allein einen ja schon besoffen machen kann. Dabei hat es durchaus Schwächen, Längen zum Ende hin, aber der anarchische Geist, der epische Atem, der jungenhafte Witz wie die leise Wehmut dieses Romans machen ihn zu einem der großartigsten, die je geschrieben wurden. Und zu einem, der nicht halb so einfach zu verfilmen ist, wie der abenteuerreiche Plot vermuten läßt. Schlägt dieser doch weniger einen Spannungsbogen, sondern zeigt sich vielmehr als Ballade einzelner, mitunter nur lose verbundener Strophen.
Und unterscheidet sich gerade auch darin von Tom Sawyers Abenteuern. Die kamen im letzten Jahr auf die Leinwand. Und zwar überzeugend genug, um die damals schon angekündigte Huck-Finn-Adaption mit einiger Vorfreude, aber eben auch etwas Skepsis zu erwarten. Beides erwies sich als angemessen. Wird doch mit ziemlicher Hemdsärmeligkeit die Story der Vorlage umgemodelt – und man schwankt eine ganze Weile, ob es etwa eine gute Idee ist, Hucks brutalen, versoffenen Vater als charismatischen Bad Guy zu installieren, der – im Gegensatz zum Buch – hier die komplette Handlung über präsent ist. Im Namen des Spannungsbogens, den es zu schlagen galt, und zudem mit drei ziemlichen (neu erfundenen) Knallchargen von Kopfjägern im Schlepptau, die sich an die Fersen von Huck und dem entlaufenen Sklaven Jim heften.
Es ließe sich nörgeln, daß das – inklusive eines mitunter doch sehr klamottigen Humors, der hier durch diese schön fotografierte Südstaaten-Anmutung (Made In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Rumänien) poltert – dem Geist der Vorlage gehörig eins überhilft. Gleichzeitig malt Hermine Huntgeburth aber auch Stimmungen und Szenen, die einfach bestechen: voll von der sehnsüchtigen Ungebundenheit, farbsatt und lebensprall. Toll der Italo-Western-Anfang. Rührend das große Durchatmen in Freiheit, wenn Huck erst dem Erziehungsreglement der Witwe Douglas, dann den Brutalitäten seines Vaters entkommt. Und vor allem, daß hier nie Didaktik klappert, der Pädagoge den Fabulierer gängelt, spricht für diesen Film, der so auch mit seinen Schwächen Familienkino reinsten Mississippi-Wassers ist.
D/Rumänien 2012, 99 min
FSK 6
Verleih: Majestic
Genre: Literaturverfilmung, Kinderfilm, Abenteuer
Darsteller: Leon Seidel, Louis Hoffman, Jacky Ido, August Diehl, Milan Peschel, Henry Hübchen, Andreas Schmidt
Regie: Hermine Huntgeburth
Kinostart: 20.12.12
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.