Die Filmemacher werden jünger, die erinnerten Vergangenheiten auch. Einmal mehr sind es also die 80er Jahre, Frisuren mit fransigem Nacken, aufgemotzte Knabenfahrräder, Tankshirts mit Aufdruck und gut erschlossene Landstraßen, die diesem Kindheitsdrama den authentischen atmosphärischen Rahmen geben. Eben so, wie sie den heute über Dreißigjährigen im Gedächtnis haften mögen. Dimitri Verhulst, Autor der autobiographischen Romanvorlage, und Regisseur Felix van Groeningen gehören zu dieser Generation. Und sie haben sich aufgemacht, den gemächlichen Mühlen der Kindheitsnostalgie und den schläfrigen Diskussionen um soziale Chancengleichheit einen mächtigen Haufen anarchische Realität, in diesem Fall hochviskose Scheiße, ins Getriebe zu werfen.
Gunther Strobbe heißt ihr Unterschichtenheld aus der belgischen Provinz, ist schwierige dreizehn und geschlagen mit einer Familie, bei der die Gerichtsvollzieher (wenn sie sich trauen) häufiger zu Gast sind. Gunthers Mutter, die freundlich Nutte genannt wird, lebt seit langem mit einem anderen Mann und einem neuen Kind und dreht sich beschämt weg, wenn ihr Sohn über den Zaun in das fremde Leben guckt. Geblieben sind der saufende Vater Marcel, dessen drei nicht minder trink- und schlagfeste, hurende, furzende, rülpsende, aufbrausende, vor Schnapsideen nur so übersprudelnde Brüder, eine vom vielen Dulden nahezu unsichtbare Oma und ein schäbiges Häuschen mit leeren Flaschen und überquellenden Aschenbechern. Was aber für die Strobbes völlig normal ist, sorgt bei der Dame vom Sozialamt für echtes Entsetzen ...
Mit kräftigen Kunstgriffen ins Burleske macht uns van Groeningen mit Gunthers Welt vertraut, schürt mit deftigen, alkoholgetränkten Anekdoten eine unbehagliche Liebe zum skizzierten Milieu und führt die Schmuddelkomödien um ewige Verlierer wie Al Bundy oder Chaosfamilien wie die Flodders auf ihren tragischen Kern zurück. Der inzwischen erwachsene Gunther kommentiert die Geschehnisse aus dem Off – lakonisch, komisch, resigniert, ja sogar zärtlich. Vor allem jedoch ist es ein Blick zurück in Angst. Davor, daß man schon mit dreizehn ausgemendelt sein kann, daß das Scheitern in solchen Kreisen erblich ist wie anderswo eine schiefe Nase oder das Geld beim Denver-Clan.
Originaltitel: DE HELAASHEID DER DINGEN
Belgien 2009, 108 min
FSK 12
Verleih: Camino
Genre: Drama, Familiensaga, Schräg
Darsteller: Kenneth Vanbaeden, Valentijn Dhaenens, Koen De Graeve, Wouter Hendrickx
Regie: Felix van Groeningen
Kinostart: 20.05.10
[ Sylvia Görke ]