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Die Blindgänger

Jenseits des Gutmeinens

Der Moment, in dem man spürt, daß es ein Film gut meint, ist der Moment, in dem man begreift, daß er schlecht gemacht ist. Die Falle, in die gerade deutsche Filme, die es gut meinen, mit schöner Regelmäßigkeit tappen, ist ihre Gewißheit, daß es schon irgendwie reicht, daß sie sich überhaupt auf die Seite einer Minderheit gestellt haben, ganz so, als käme es nicht auch darauf an, wie gut sie sich auf dieser Seite geschlagen haben, ganz so, als ob ein Anwalt vor Gericht seinen Prozeß nur deshalb durchbringt, weil er ja doch irgendwie spürt, daß er recht hat, und nicht etwa deshalb, weil er Argumente und eine Strategie für seine Sache hat. Ein Film muß vor allem filmische Argumente für seine Sache haben, keine moralischen.

Über die Falle des Gutmeinens ist in der Nach-Fassbinder-Zeit des deutschen Films seit Caroline Links JENSEITS DER STILLE vielleicht kein Film leichtfüßiger gesprungen als die kleine Geschichte von Marie, Inga und Herbert, zwei echten und einem falschen Blinden, die als Straßenmusiker losziehen. Sie sind "Die Blindgänger" und müssen ganz dringend 500,- Euro zusammenspielen, weil Herbert, der rußlanddeutsche Autoknacker mit einem Truck illegal zurück in die Heimat will, weg vom Vater, dem deutschen Winter und der deutschen Polizei, die ihm schon dicht auf den Hacken ist. Inga und Marie leben in einem Dorf bei Erfurt in einem Internat für Sehbehinderte, in dem sie Herbert, den "Gucki", auf dem Dachboden verstecken. Ein Gucki ist einer, der sehen kann.

"Darf ich dich ansehen?" bittet die kleine Marie im Sommerkleid auf dem kalten Dachboden den großen tapsigen Herbert, der brummt ja, und dann tasten ihre Hände hoch in sein Gesicht, das betreten dreinschaut. Guckis sind anders. "Trau bloß keinem Gucki!" warnt Inga ihre beste Freundin Marie noch, doch die hat sich längst schon verliebt in Herbert auf dem Dachboden. Marie ist 13.

DIE BLINDGÄNGER ist ein Kinderfilm. Es geht um die erste Liebe, die ist am besten ohne Sicherheitsgurt. Das hat sich wohl auch Autor Bernd Sahling gesagt: Sein erfrischendes Spielfilmdebüt schubst die kleinen Hauptdarsteller raus aus der Kindheit und der Sicherheit des Internats ins Leben, wo sie sich behaupten müssen und werden - aufmüpfig, spontan und verschworen. Erzählt wird das mit einem ausgetüftelten Sounddesign, das die Hörwelt von Blinden nachvollziehbar macht, ohne jede Effekthascherei und Drehbuch-Zufälligkeit, vor allem aber fast immer ohne Gutmeinen und mit einer wunderbaren Ricarda Ramünke als Marie.

D 2004, 87 min
Verleih: MFA

Genre: Tragikomödie, Erwachsenwerden, Kinderfilm

Darsteller: Ricarda Ramünke, Maria Rother, Oleg Rabcuk, Dominique Horwitz

Stab:
Regie: Bernd Sahling
Drehbuch: Bernd Sahling

Kinostart: 28.10.04

[ Christian Seichter ]