Originaltitel: VISION
J/F 2018, 110 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen
Genre: Drama, Poesie, Mystery
Darsteller: Juliette Binoche, Masatoshi Nagase, Takanori Iwata, Mari Natsuki, Mirai Moriyama
Regie: Naomi Kawase
Kinostart: 14.02.19
Die kostbare Pflanze, nach der Französin Jeanne in Japan sucht, heißt Vision, verfügt über besondere Heilkräfte, kann Menschen ihre Ängste nehmen und blüht im Abstand von exakt 997 Jahren. Daß jetzt gerade der extrem seltene Moment kommen könnte, spürt auch Tomo, der seit Dekaden im Wald lebt, wo er Veränderungen wahrnimmt. Und es gibt da Tomos blinde Bekannte Aki, die ihr eigenes Alter mit 1000 beziffert.
So weit vorerst die Handlungsträger, welche aber vor einer ungleich mächtigeren Protagonistin knicksen – Übermutter Natur nämlich. Regisseurin Naomi Kawase nimmt sich immer ausreichend Zeit, ein Spinnennetz abzulichten, sanft schaukelnde Äste, das Glitzern eines Bachs, während der Wind ein Lied singt. Ganz wörtlich, sein Pfeifen, An- und Abschwellen dienen als musikalische Basis, laden gar Aki zum Tanz unter freiem Himmel. Kawase fordert zur Rückbesinnung auf, möchte sensibilisieren für die uns umgebende, viel zu oft ignorierte Schönheit, mahnt parallel deren Verletzungen an: Ein erlegter Hirsch, geschlagenes Holz dienen als Illustrationen humaner Eingriffe.
Stringentes Erzählen weicht echtem Fühlen, erfüllendem Erleben. Selbstverständlich nähern sich Jeanne und Tomo, der partnerschaftliche Herzschlag stellt nun den Klang der Nacht, jemand stirbt im austarierten Gleichgewicht, man sinnt über Vergangenheit, Einsamkeit, Freude, die Existenz. Dazu überall konsequente Dualität: als Paarbildungen, Reflexionen, Dopplungen, wie Jeannes Gesicht, anfangs im Zugfenster eine Spiegelung zeigend. Kawase behauptet nicht großes Glück in vermeintlich kleinen Dingen, sie findet es tatsächlich. Ohne mit esoterischem Geschwafel zu nerven, sondern daraus eine fragile Sinfonie komponierend, die trotz bildsprachlicher Brillanz durchaus zwischendrin mal geschlossene Augen erlaubt, hoffentlich keinem Dauerhuster in Reihe 7 zum Opfer fällt.
Schließlich doch etwas überzogen wirkt zwar die aufgetürmte Symbolik gegen Ende, dies vermag Juliette Binoche indes aufzufangen. Kennen Sie noch Binoches Schauspiel vor dem CHOCOLAT-Dauergrinse-Marathon, dessen Desasterneigung sich seither stetig verselbständigte, bis hin zu schlicht unerträglicher Rumhampelei à la WIE DIE MUTTER, SO DIE TOCHTER oder DIE FEINE GESELLSCHAFT? Nein? Dann bitte unbedingt das Ticket für Binoches endlich wieder komplexe, zarte, aus reichen Gefühlsfarben gemalte Talentwelt lösen.
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...