Originaltitel: RAPITO

I/F/D 2023, 134 min
FSK 12
Verleih: Pandora

Genre: Drama, Polit

Darsteller: Paolo Pierbon, Enea Sala, Leonardo Maltese

Regie: Marco Bellocchio

Kinostart: 16.11.23

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Die Bologna-Entführung

Zur richtigen Zeit

Ach, der gute, alte Antisemitismus. Momentan stehen seine Aktien ja wieder hoch im Kurs. Der Judenhaß, in seiner impulsiven Straßendemo-Variante wie auch in seiner bigott-blasierten bürgerlichen Maskerade, ist und bleibt unausrottbar! Ist und bleibt in seiner vitalistischen Widerwärtigkeit resistent gegen alle Vernunft, Toleranz und Empathie. Klar, hat eben Tradition. Zeigt jetzt auch Marco Bellocchios DIE BOLOGNA-ENTFÜHRUNG. Ein Film, der insofern zur rechten Zeit kommt, als daß er daran erinnert, daß eben nicht nur die heute üblichen Verdächtigen (teutonische Volkstrottel, islamistische Glaubenseiferer, Antikolonialismus-Darsteller aus dem linken Milieu) in puncto Judenfeindlichkeit eine enge verwandtschaftliche Nähe pflegen.

Es ist die katholische Kirche, genauer der Vatikan, noch genauer Papst Pius IX., die es in DIE BOLOGNA-ENTFÜHRUNG fertigbringen, den 6jährigen jüdischen Jungen Edgardo in Nacht und Nebel und mit Hilfe staatlicher Gewalt seiner Familie zu entreißen. Eine Hausangestellte und, sagen wir mal, „einfältige“ Christin hatte das Kind im Säuglingsalter heimlich getauft. Womit Edgardo, so will es das katholische Dogma, unwiderruflich zum Christen wurde. Und folglich der allumfänglichen Obhut der Kirche anzuvertrauen ist.

Die Geschichte ist wahr, zugetragen hat sie sich 1858. Einschlägige Zugriffe des Vatikans auf jüdische Kinder waren damals kein Einzelfall. Erschütternd ist das bis heute – nur gelingt es Bellochio nicht genug, das herauszuarbeiten. Gefangen in einer im Kontext der Geschichte schon seltsam anmutenden braven Gediegenheit, folgt sein Film dem Schicksal Edgardos, der fern der Familie in einem kirchlichen Heim und als innerlich zunehmend zerrissenes Kind ausgerechnet im aufdoktrinierten katholischen Glauben Trost findet. Und somit seine Herkunft, seine Familie verrät.

Ein Drama, dessen scharfer Stachel hier zu schnell stumpf wird, zwischen allerlei Dekor-Bombast-Geflimmer und erzählerischen Abschweifungen, zwischen auch mal christlich verbrämtem Kitsch (als könne der Filmemacher nicht über den eigenen katholischen Schatten springen) und melodramatischer Aufwallung. Und doch ist dieser Film gerade jetzt wichtig. Denn eins ist er allen Schwächen zum Trotz: Eine Stimme der Vernunft und Empathie.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.