Jorge Luis Borges wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlaß hat der argentinische Regisseur Tristán Bauer versucht, den Kosmos einer der größten Figuren der lateinamerikanischen Literatur in essayistischer Form zu erschließen.
Die konzentrierte Form von Erzählung, Gedicht und Essay hat Luis Borges zu einer Vollendung entwickelt, deren geistige Tiefe viele voluminöse Werke nicht erreichen. Doch hat sein Mißtrauen gegenüber dem Roman noch einen weiteren Grund: seine frühzeitige Kurzsichtigkeit und wachsende Blindheit, die er bevorzugt in seinen Werken thematisiert. 1938 begann er als einfacher Angestellter einer Stadtbibliothek und wurde von den Peronisten 1946 zum ’Inspektor für Geflügel und Kaninchen auf öffentlichen Märkten’ "befördert". Nach dem Sturz Perons sorgten gute Freunde dafür, daß er das ehrenvolle Amt des Direktors der argentinischen Nationalbibliothek erhielt, daß er bis zur Rückkehr Perons innehatte.
Die Bibliothek, in der er seine Kindheit und später ein Jahrzehnt seines Angestelltendaseins verbrachte, wurde für Borges zur Metapher seiner eigenen Existenz, der Existenz überhaupt, zu einem Synonym für Universum.
Regisseur Tristán Bauer unternimmt die schwierige Gratwanderung zwischen fiktiver Rekonstruktion und Dokumentation mit Erfolg. Mit seltenem Archivmaterial beleuchtet er auf unterhaltsame Weise das Leben des großen Schriftstellers. In zahlreichen filmischen Zeugnissen und literarischen Zitaten belegt er das reiche poetische und erzählerische Schaffen und die ihm zugrunde liegende Philosophie. Auch einzelne Lebensstationen und Metaphern von Borges’ Werk werden dargestellt und mit atemberaubenden Bildern umgesetzt, so das Labyrinth der Bibliothek, das zentrale Synonym für Borges’ eigene Existenz und das Universum schlechthin. Eine durchweg spannende filmische Umsetzung des faszinierenden Kosmos’ dieser eindrucksvollen Gestalt der Weltliteratur.
Originaltitel: LOS LIBROS Y LA NOCHE
Argentinien 2000, 82 min
Genre: Biographie, Poesie
Darsteller: Walter Santa Anna, Héctor Alterio
Regie: Tristán Bauer
Kinostart: 02.11.00
[ Anne Riordan ]