Thomas Riedelsheimer gilt als veritabler deutscher Dokumentarfilmpoet. Ein kunstsinniger Assoziationsreisender mit wählerischer Kamera, der Bilder und Gedanken über seinen Themen schweben, seinen Blick schweifen lassen kann – manchmal auch mit dem Risiko, das realiter Bestimmte aus den Augen zu verlieren. Filme wie RIVERS AND TIDES oder TOUCH THE SOUND, jeweils preisgekrönt, jeweils sehr assoziativ und weit über ihren personalen Gegenstand hinaus extemporierende Künstlerporträts, stehen beispielhaft für die vom Publikum eingeforderte Schau- und Denkarbeit gegen den befürchteten Verlust an Greifbarkeit und Bodenhaftung.
In seinem neuesten Werk treibt Riedelsheimer die Sehnsucht um. Genauer: Sie treibt ihn um die halbe Welt, in episodischen Porträtminiaturen mit Längen- und Breitengraden. Von Lissabon, wo er zwei kapverdische Einwanderer trifft, nach Doha, wo sich eine Schriftstellerin aus ihren Kleider- und Anstandshüllen hinauswünscht, weiter in einen Dichtkunstzirkel für Obdachlose in Osaka und zu den Selbstmordklippen im japanischen Küstenort Tojinbo, schließlich ins mexikanische La Paz, wo der Kubaner Alfredo nach Fischen und der Liebe taucht, und immer wieder zurück nach München zu Julius, dem frischgebackenen Abiturienten und angehenden Musiker. „Ich bin teilweise sehr melancholisch“, sagt dieser Julius. Frau Kanayo Ueda spricht davon, wie die Poesie ihr die Ängste nahm, Alfredo von den Geschenken der Natur und Domingas Ferreira von ihrem Heimweh. Die Vielen geben also Auskunft über Vieles. Aber wie genau lauten Riedelsheimers Fragen? Und fragt er alle seine Protagonisten dasselbe?
Offensichtlich nicht. Die enorme Geo-, Bio- und persönliche Diversität der erlauschten Geschichten, ihr zwischen gesellschaftspolitischer Relevanz und privater Dringlichkeit schwebender Ton ist nicht Analyse, sondern assoziatives Umkreisen eines diffusen Begriffs, nämlich der Sehnsucht. Und die, mindestens das läßt sich festhalten, unterscheidet nun einmal nicht zwischen Frage und Antwort. So leidet Riedelsheimers Globalerkundung eines per definitionem unbestimmten Gefühls an der Vagheit seiner Prämisse und bleibt eine Art Skizze für eine Art Projekt zu einer Art Thema. Freilich in Bildern, die das im On und Off Gesagte – und sei es auch noch so poetisch – an Klugheit und Einprägsamkeit deutlich übertreffen.
D 2016, 92 min
FSK 0
Verleih: Piffl
Genre: Dokumentation
Regie: Thomas Riedelsheimer
Kinostart: 01.06.17
[ Sylvia Görke ]