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Die Fremde

Den Opfern der kulturellen Raumfahrt

„Du bist mein Versagen als Vater“, sagt Kader seiner Tochter Umay unter Tränen. Dann schließt er die Tür. Warum er sie nicht auch nur einen Spalt offen lassen kann? Warum die junge Frau immer wieder versucht, sie einzurennen, einzuweinen? Das sind die Fragen, die diesen Film umtreiben. Auch, weil man sie anderswo nicht stellt. Denn die „Fremden“ in Deutschland werden nur Thema, wenn das „Vertraute“ keine Schlagzeilen hergibt. Ja, fast könnte man es übersehen: Die Reise geht nach Deutschland, nach Istanburlin, das Frankara am Main oder Izmünchir an der Isar zum Verwechseln ähnlich sieht. Manchmal, wenn die Zeitungen von einem „Ehrenmord“ zu berichten haben, wird diese Fremde „Parallelgesellschaft“ genannt.

Den Culture Clash hat Umay schon hinter sich. Tochter aus berlinerisch-türkischem Hause, ins ländliche Umland von Istanbul verheiratet, Mutter eines kleinen Jungen, Mutter eines abgetriebenen Kindes, durch das es noch schwieriger geworden wäre, den schlagkräftigen Ehemann in der Fremde zu verlassen. Aber sie hat ja noch einen Koffer in Berlin. Als Umay heimkommt, mit dem Sohn Cem einen Neuanfang versucht, stößt der Familiensinn an die Grenzen kultureller Traditionen. Die „deutschländer Hure“ macht mit ihrer Selbstbesinnung alles kaputt – Vaterehre, Bruderstolz, die geplante Hochzeit ihrer Schwester. Und Umay muß erfahren, daß Babas Liebe tief ist, aber unerfüllbare Bedingungen hat.

Der Schauspielerin Feo Aladag gelingen in ihrem Regiedebüt gleich mehrere Überraschungen. Es ist so emotional aufreibend wie buchhalterisch genau, so sehr Modellstück wie Sonderfall, vor allem so versiert erzählt und bebildert, daß man Aladag die Anfängerin kaum abnehmen mag. Sie teilt nicht Fatih Akins Glauben in die verbindende Kraft der Popkultur. Sie beherrscht vielmehr die dramatische Zuspitzung und zeigt, was für ein Dampf auf solchen familiären Teekesseln ist, und nach welchen physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Druck steigt. Die tragische Geschichte von Umay ist kein Film der Verständigung geworden, sondern einer des Verstehens unter Vorbehalt. Leider wird er auch zu jenen gehören, die ewig von den Falschen gesehen werden. Denn die Brüder, die Aladag meint, sitzen ein paar Kinosäle weiter im neuesten Actionfilm, die Väter zu Hause vor dem Fernseher. Und irgendwo tagt eine Arbeitsgemeinschaft für Integration ...

D 2010, 119 min
FSK 12
Verleih: Majestic

Genre: Drama

Darsteller: Sibel Kekilli, Nizam Schiller, Settar Tanriögen, Derya Alabora, Florian Lukas, Tamer Yigit, Serhad Can, Nursel Köse

Stab:
Regie: Feo Aladag
Drehbuch: Feo Aladag

Kinostart: 11.03.10

[ Sylvia Görke ]