Die Geschichte in einem Satz: Frau wird Zeugin eines Mordes, woraufhin sie, vom Mörder gejagt, um ihr Leben kämpfen muß. Da mag zumal der Genrekenner erst einmal mit einem wenig interessierten „Kenn ich schon!“ reagieren. Und hätte natürlich nicht ganz Unrecht, der Variationen zum Thema gibt es einige, und die wenigsten davon sind wirklich variabel in dem, wie sie das dann erzählen.
Womit man aber schon flugs beim Pluspunkt von Stefan Ruzowitzkys DIE HÖLLE – INFERNO wäre: Özge heißt hier die Frau, die Zeugin eines bestialischen Mordes an einer Prostituierten wird. Und der daraufhin der Killer gefährlich im Nacken sitzt. Ein Killer, der dann freilich auch echt was an der Waffel hat, der sich, getrieben von einem sich als religiöser Wahn entäußernden Frauenhaß (der Genrekenner wird's kennen), in Serie durch die Gegend mordet. Sein Problem (und Pluspunkt des Films): Özge ist alles andere als ein Opfer. Und die Lust, mit der Ruzowitzky diesen Umstand, das heißt diese Frauenfigur, ausreizt und gegen den Strich bürstet, mag zwar auch nichts wirklich neu erfinden, aber immerhin frisch variieren. Und das hat wirklich was für sich.
Denn die türkischstämmige Özge, die in Wien Taxi fährt, hat schon einiges einstecken müssen im Leben. Und was sie vor allem dabei lernte: zurückschlagen, austeilen. Und zwar rabiat. Daß sie eine versierte Thaiboxerin ist, ist da nicht von Nachteil. Zäh, einzelgängerisch, schweigsam ist sie außerdem. Was dann auch den erst garstigen, späterhin helfenden Kommissar Steiner zu hübschen Sätzen wie „Sprache ist Kultur! Wenn Sie dauernd nur die Goschn halten, hilft das keinem“ verleitet.
Aber die Özge ist es halt einfach gewohnt, sich selbst zu helfen. Und der Film verfolgt sie dabei mit unverhohlener Sympathie, freilich auch, ohne ihr was zu schenken. Da muß sie schon einiges einstecken an Blessuren und Wunden. Seelischen wie körperlichen. Daß DIE HÖLLE – INFERNO sich bei aller Action immer auch Zeit für soziale Nuancen nimmt (die Skizzierung des muslimischen Milieus, aus dem Özge stammt, das Frauenhaus, in dem sie es nicht aushält, Steiner, der mit seinem dementen Vater lebt), verleiht dem Film trotz seiner Neigung zu genrehaft Spekulativem und dramatisch hastender Hollywood-Attitüde eine wohltuende Erdung. Zu der maßgeblich auch Violetta Schurawlow und Tobias Moretti das ihre beitragen. Daß der Killer dann ein doch arg klischierter Irrer ist: geschenkt.
D/Österreich 2016, 90 min
FSK 16
Verleih: Splendid
Genre: Thriller, Killer
Darsteller: Violetta Schurawlow, Tobias Morretti, Robert Palfrader
Regie: Stefan Ruzowitzky
Kinostart: 19.01.17
[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.