Time is running out for Rémy. Während hinter der kanadisch-amerikanischen Grenze zwei Flugzeuge die Geldtürme der westlichen Welt zum Einsturz bringen, wartet der Geschichtsprofessor in einem chaotischen Krankenhaus auf den Tod. Siebzehn Jahre sind vergangen, seit Regisseur Denys Arcand jenen Rémy und seine Clique im gleichnamigen Film sarkastisch den Untergang des amerikanischen Imperiums konstatieren ließ. Und dieser aberwitzige und dabei erschreckend plausibel arrangierte Alptraum eines Hospitals aus überfüllten Gängen, mafiösen Gewerkschaftern und planlosen Ärzten ist erstes Zeichen dafür, daß die Diagnose des Weltbefindens auch jetzt nicht günstiger ausfällt. Im Gegenteil: Die Barbaren übernehmen!
Aus allen Ecken kommen sie, die Wilden und Unzivilisierten. Selbst seinem Sohn, diesem kulturlosen Finanzirgendwas, diesem konservativen Nichtleser und Nichtswisser mißtraut Rémy. Doch auch Sébastien ließ sich nur widerwillig ans Krankenbett des Vaters zitieren, der mit seinem Übermaß an Lebens- und Liebeslust die Familie auseinander brachte. Sébastien trommelt ein letztes Mal Rémys ehemalige Bettgenossinnen und Freunde zusammen, gegen die Schmerzen wird Heroin beschafft, und dann tritt der Haudegen ab, wie er gelebt hat: einzigartig, zufrieden und geliebt.
Fast beiläufig im Tonfall und unspektakulär in den Bildern, inszeniert Arcand nicht nur Rémys Sterben. Ein angeschlagenes Imperium im Hinterkopf, kulturpessimistisch und trotzdem lachend, stimmt er den komischen Abgesang auf eine Epoche an, in der jede Idee ihren Ismus und jeder Idealist feuchte Träume hatte, auf eine Generation lustvoller Revolutionäre, die mit Sartre, Rotwein und Sex bewaffnet waren. Mit grimmig-bösem Witz torpediert er das Dolce Vita seiner abgekämpften Altersgenossen und den verzweifelten Pragmatismus ihrer Kinder, die ganz andere Kämpfe führen.
Mit dem goldenen Schuß verabschiedet sich Rémy stellvertretend für alle, die wie er Frauenbeine und Mao verehrten. Doch trotz aller Wehmut bleibt die Gewißheit: Die gute alte Zivilisation ist glücklich gestorben.
Originaltitel: LES INVASIONS BARBARES
Kanada/F 2003, 99 min
Verleih: Prokino
Genre: Tragikomödie
Darsteller: Rémy Girard, Stéphane Rousseau, Marie-Josée Croze
Stab:
Regie: Denys Arcand
Drehbuch: Denys Arcand
Kinostart: 27.11.03
[ Sylvia Görke ]