F/Österreich 2001, 130 min
FSK 16
Verleih: Concorde
Genre: Literaturverfilmung, Drama
Darsteller: Isabelle Huppert, Benoît Magimel, Annie Girardot
Regie: Michael Haneke
Kinostart: 11.10.01
Ein Kind zog sich aus der Welt, um Pianistin zu werden. Nichts anderes durfte es sein, auch keine Frau. So hat es die Mutter befohlen. "Jede Schicht, in der sich etwas Leben regt, wird als verfault erkannt und weggesäbelt." Das Kind ist keine Pianistin geworden. Es zählt nunmehr 40 Jahre und arbeitet - einer Beamtin gleich - am Wiener Konservatorium. Ohne Ziel. Ohne Ehrgeiz. Ohne Lust. Milchglas ist aus ihm geworden, an dem Wärme abprallt, das undurchsichtig bleibt und kühl und schneidend. Die Schüler der Klavierspielerin: künstlerische Eunuchen. Man darf sich nicht die Konkurrenz heranziehen. So hat die Mutter befohlen...
Eine Autorin zog sich aus und wurde gläsern. Wie ihre KLAVIERSPIELERIN wurde auch Elfriede Jelinek zur Konzertpianistin dressiert, die Symbiose mit der Mutter, nichts Fremdes. Schonungslos, mitleidlos, hoffnungslos krempelte sie die defekten Seelen ihrer Protagonisten nach außen und hinterließ einen Scherbenhaufen. Darunter ein verschüttetes Triebleben, das sich Nebenwege sucht - die sexuelle Perversion. Und aus der Wiener Berggasse posthumes Gelächter? Nein, Jelinek, Hohepriesterin des Morbiden fristet ihr Dasein ohne Freud: "An den Psychiater glaube ich schon lange nicht mehr. Ich habe schon vier verschlissen."
Ein Regisseur zog aus, nicht um das Fürchten zu lernen, sondern um Glasbruch einzusammeln und einen Berg zu errichten, dessen Licht nach innen strahlt. Die Figuren scheinen darin nicht begraben, sondern facettenreich beleuchtet. So wirkt die Mutter, "Inquisitor und Erschießungskommando in einer Person", im Film weicher und glaubhafter. Auch die Person Klemmers, bei Jelinek ein naßforscher Beau ohne Tiefgang, zeigt sich vielschichtiger: zersplittert zwischen aufrichtiger Liebe, verlorener Unschuld und dem Sog des Zeitgeistes. Ein schöner Verlierer. Die Schubertsche Musik, im Buch nicht erfahrbar, sorgt für ein Glasperlenspiel, in dem auch Verzückung und Melancholie schimmern dürfen. Die Korona des verstörenden Meisterwerks jedoch hat einen Namen: Isabelle Huppert.
Eine Schauspielerin zog sich seelisch aus. Sie, mit dem Patent auf abgründige Frauenrollen, ist es gewohnt, an die der Schauspielkunst auferlegten Grenzen zu geraten. Hier aber durchbricht sie allenfalls erfühlbare Trennwände mit dem ihr eigenen Glasschneider. Die Schönheit der inzwischen 48-jährigen Huppert wird immer beunruhigender. Nur ein leichtes Zucken ihrer Mundwinkel verrät - sie ist springendes Glas.
Ein paar Goldene Palmen und etliche Buh-Rufe ("Pornographie!") ereilten den Film in Cannes, Jelinek und Haneke dürfte dies freuen.
[ Angela Rändel ]