Originaltitel: KOLLEKTIVET
DK 2015, 111 min
FSK 12
Verleih: Prokino
Genre: Drama
Darsteller: Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, Helene Reingaard-Neumann, Lars Ranthe, Fares Fares
Regie: Thomas Vinterberg
Kinostart: 21.04.16
Sie will sich verändern, und er erbt das Haus. Er ist knapp über 50 und Architekt, sie knapp über 40 und Ansagerin beim Fernsehen. Anna strahlt und Erik zaudert. Sie werden es tun, werden sich nicht zum Verkauf des Erb-Guts entscheiden, Millionen machen und so tun, als sei nichts passiert. Sie werden in dieser 450-Quadratmeter-Villa am grünen Rand der Welt von Kopenhagen DIE KOMMUNE ins Leben rufen. Beiläufig verraten Fernsehbilder, der Vietnamkrieg sei vorbei. Es ist die Mitte der 70er Jahre. Vergangenes Jahrhundert.
Die Kommune ist eher eine WG. Nicht ohne Grund nennt Regisseur Thomas Vinterberg seinen Film KOLLEKTIVET. Wer entdeckt den Unterschied? Die gängigen Vorstellungen von studentisch-deutschen Protest-Kommunarden à la Rainer Langhans und Uschi Obermaier, als Bilder noch riechen konnten, sollte man schnell vergessen. Diese dänischen Freunde und Fremden, die nach und nach zu Erik, Anna und ihrer Tochter stoßen, erinnern nur vage daran: Ein Pärchen mit 9jährigem Sohn, drei Singles. Hauptsache Wollpullover! Ein Nacktbad im Meer, Rotwein intravenös und zarte Rangeleien wegen der Bierlisten bestimmen die Gemeinschaft. Politische Diskussionen? Fehlanzeige! In offenen Tischrunden fragt man sich höflich, wie es jedem gehe. Meistens geht es gut, und wer sich enthalten will, sagt „Bumm!“
Vinterberg hat im Alter von sieben bis 19 Jahren selbst in einer Kommune gelebt. Es sei eine „verrückte, herzliche, tolle Zeit“ und im Rückblick eine „der goldenen Erinnerungen und absurden Momente“ gewesen. Sein filmisches „Kollektiv“ ist keine Eins-zu-eins-Übersetzung, sie dient bestenfalls als Krücke, einerseits, um für Vinterberg doch eher untypischen Humor in die Szenen zu schleusen. Andererseits, um von Entwicklungen zu erzählen, die so privat sind, daß sie durch diese besondere Lebensform nur in die eine oder andere Richtung driften. Ursache ist sie nicht. Mit Erik wolle sie Großes erschaffen, sagt Anna. Sie will diese Ehe, diese Familie mit der 14jährigen Freja. Vor allem aber will sie dieses neue Wohnen. Den Hauch Langeweile, den sie zuvor spürte, läßt Anna auf diese Weise vorbeiziehen. Und Erik? Fügt sich, versucht sein Bestes, doch im Innern fühlt er Unbehagen. Er hat zwar die Eigentumsrechte komplett an alle Bewohner abgetreten, sieht sein Elternhaus aber insgeheim noch immer als seins. Es gärt in ihm. Und wird kochen.
Aus Eriks Institutsaffäre mit Emma wird mehr. Die schöne Studentin wird zur zweiten Liebe. Eine kommende Hausversammlung hat dann eben nicht die Anschaffung einer Spülmaschine oder eine Bier-Amnestie auf der Tagesordnung, sondern die Entscheidung, ob auch Emma in die Villa ziehen darf und keinesfalls in ein Einzelzimmer. Erik ist entwaffnend ehrlich. Respekt!
Spätestens hier trifft auch Thomas Vinterberg eine Entscheidung: Er übergibt seinen Film offen an Anna und damit an die wundervolle Trine Dyrholm, achtet „nur“ noch darauf, daß Darsteller und Charaktere um sie herum nicht aus der Handlung fallen, blendet höchstens die stille Freja etwas auf, die ihre Eltern, vor allem ihre Mutter, mit wachsender Angst beobachtet und behutsam eigene Wege geht. Anna ist eine Botschafterin des Familienfriedens. Sie läßt Emma zu, erträgt weidwunde Schmerzen, bekämpft sie mit Riesling, hört auf die Geräusche im Raum nebenan und in sich hinein. Sie tickt wie ein Uhrwerk mit Dynamitröllchen. Wann ist es fünf vor, wann um, was kommt danach?
[ Andreas Körner ]