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Die Kunst, sich die Schuhe zu binden

Prioritäten falsch gesetzt

Dieser Film ist so was wie ein Rezensenten-Alptraum: Er trägt das Herz per se am absolut rechten Fleck, greift ein nicht ganz leichtes Thema locker auf, gibt sich alle Mühe, vermittelt wichtige Botschaften, war zudem auch noch ein Knaller in seinem Heimatland ... und mißlang trotzdem irgendwie. Darf man das schreiben, ohne im Ruch emotionaler Kälte oder Hang zum Überkritischen zu stehen?

Man darf. Und es sei gleich jetzt getan. Weil zwischen „gut gemeint“ und „gut gemacht“ manchmal eben nicht wegzudiskutierende Welten liegen. Das fängt beim Protagonisten Alex an: Als liebenswerter Träumer eingeführt, ist der Mann bei näherer Betrachtung ein verantwortungsloser, fauler Hallodri. Kein Wunder also, daß ihn seine Freundin rausschmeißt. Vom Arbeitsamt gibt’s für Alex nur einen einzigen Job – in der Behindertenbetreuung. Alex lernt nun aufdringlich gegensätzlich klare Strukturen kennen, verkörpert durch die gestrenge Hanna, welche ihre Schützlinge zum Beispiel zwingt, stundenlang das Binden von Schleifen zu üben. Aber natürlich weiß Alex, der Goldjunge, um die Sinnlosigkeit solchen Tuns und meldet seine Truppe flugs beim schwedischen Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“ an ...

Es sei verziehen, wie sehr sich die Geschichte auf Zufälle und formelhafte Entwicklungen stützt; nicht jedoch, daß sie die Behinderten quasi über einen Kamm schert, ihnen bloß rudimentäre Persönlichkeiten zugesteht. Da hilft es wenig, grundsätzliche Selbstverständlichkeiten – ja, geistig behinderte Menschen haben Gefühle – zu thematisieren. Denn das vorgebliche Interesse an seinen, mal ganz nebenbei erwähnt, im Vergleich zu ihren Profi-Kollegen ungleich natürlicher aufspielenden Darstellern mit Handicap verschenkt der Film an eine irritierende Gewichtung, indem er den nominell „normalen“ Personen zu viel Platz einräumt. Und damit ist nicht Hannas unoriginelle, jederzeit vorhersehbare 180-Grad-Drehung vom Feldwebel zur weichherzigen Unterstützerin des ungewöhnlichen Vorhabens gemeint.

Nein, wir reden von Alex. Dem eher unspannenden Charakter gewährt der Plot jede Menge Zeit, sich in seinem höchst alltäglichen Trennungsproblem zu suhlen. Ex anrufen hier, Zurückgewinnungsabsichten da. Bis hin zur allerletzten Szene, welche vollkommen natürlich Alex und Freundin gehört. Die Kunst, Prioritäten zu setzen, beherrscht vorliegendes Werk daher gar nicht.

Originaltitel: HUR MÅNGA LINGON FINNS DET I VÄRLDEN?

S 2012, 101 min
FSK 0
Verleih: MFA

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Sverrir Gudnason, Vanna Rosenberg

Regie: Lena Koppel

Kinostart: 20.09.12

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...