Die Lebenden, gemeint sind sowohl die (ja eher wenigen) Überlebenden als auch die Täter des Holocausts, wird es nicht mehr lange geben. Die Generationenfolge schreitet voran. Die Lebenden sind also in beiden Fällen die Nachfahren. Doch inwieweit haben sie noch Anteil an der Geschichte?
Die Berliner Studentin Sita fragt sich das, nachdem sie das Foto ihres Großvaters in SS-Uniform entdeckt hat. Über ihre Familie weiß sie nur, daß sie aus Siebenbürgen stammt. Sie findet heraus, daß der Großvater Wachmann in Auschwitz war, und ihr Vater dort geboren wurde. Beide Generationen schweigen dazu. Sita, die gerade selbst nach einem Platz im Leben sucht, begibt sich auf Recherchereise, nach Wien, Warschau, Auschwitz, Rumänien. Und kommt über Umwege ihrem Großvater tatsächlicher näher.
Das klingt nach einer klassischen Geschichte über ein dunkles Familiengeheimnis, Wurzelsuche und Vergangenheitsbewältigung. Doch die Regisseurin flüchtet angestrengt davor, einen irgendwie banalen und gewöhnlichen Film zu machen. Und dabei wird sie ganz banal, da sie nirgendwo in die Tiefe geht. Das Verhältnis der Heldin zu ihrem Vater, ihrem Opa, ihrem Liebhaber und allen anderen Figuren ist von Anfang an nicht präsent. Sita bewegt sich wie im luftleeren Raum. Der Film verweigert uns gezielt, die Früchte erzählerischer Wendepunkte zu ernten. Schon klar, wir sollen den Bildern vertrauen und selber Rückschlüsse ziehen, aber alle Spannungsmomente rauszukürzen, dafür aber endlose Fahrten der Protagonistin auf ihrem Moped zu zeigen, bringt einem die Geschichte auch nicht näher. Der kontrapunktartige Rhythmus wendet sich gegen den Zuschauer, der immer dann, wenn er mehr erfahren und sehen will, rausgeschmissen und schnöde im Regen stehengelassen wird.
Obwohl die Regisseurin Barbara Albert selbst Wurzeln in Siebenbürgen hat, bleibt die Rolle der Siebenbürgener Sachsen während des Nationalsozialismus auf einige wenig überraschende Aussagen reduziert. Auch die Verknüpfung von Sitas Recherchen zur Gegenwart, in der sie unter anderem mit einer tschetschenischen Flüchtlingsfamilie konfrontiert wird und sich in einen Israeli verliebt (aber beides auch nicht wirklich, sondern rein funktional), will sich nicht herstellen.
Es ist schon erstaunlich, wie eine Regisseurin, die so bedrückende Filme wie NORDRAND und BÖSE ZELLEN gemacht hat, ein so chaotisches und fades Werk abliefern kann.
D/Polen/Österreich 2012, 100 min
FSK 12
Verleih: Real Fiction
Genre: Drama, Familiensaga, Historie
Darsteller: Anna Fischer, August Zirner, Itay Tiran, Winfried Glatzeder
Regie: Barbara Albert
Kinostart: 30.05.13
[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...