Noch keine Bewertung

Die Liebesfälscher

„Wahrheit ist eine Fackel …

… die durch den Nebel leuchtet, ohne ihn zu vertreiben.“ Das wußte Claude Adrien Helvétius. Und man könnte es auch auf die Fahnen dieses Films schreiben, welcher so gar nicht poetisch beginnt, sondern vorerst nur mit Drehbuchseiten raschelt: Der Autor James Miller stellt auf Lesereise sein neues Werk vor, in dem er über Originale und Kopien philosophiert. Eine Frau betritt den Saal, läßt ihre Telefonnummer da und verschwindet. Miller trifft die Fremde zum Kaffee, und weil die Dame von Juliette Binoche gespielt wird, kann man befürchten, daß sie sich – wie zuletzt häufiger – einfach durch die Handlung lächelt.

Doch Madame Binoche zieht, während die Verabredung zum Ausflug wächst, alle mimischen Register, was wiederum wenig zum forschen Voran-Schauspiel des Baritons William Shimell in seinem Filmdebüt passen mag. Auch die omnipräsenten Diskussionen über – siehe oben – Kopie und Original scheinen cineastische Kopfgeburten zu sein. Kurz: Das Interesse am Stoff erlahmt. Doch aufmerksamen Lesern fiel das „vorerst“ im ersten Absatz auf, denn unerwartet purzelt die Geschichte, als eine Wirtin beim Anblick der zwei Protagonisten zu erkennen glaubt, ein Ehepaar vor sich zu sehen – und beide diesen Irrtum nicht korrigieren …

Wobei das überhastet geschrieben war, denn die Frage bleibt: Handelt es sich wirklich um einen Fehler? Plötzlich ergeben sogar die oben genannten Kritikpunkte im Mäandern zwischen Wahrheit und dem, was „Lüge“ genannt zu harsch abgekanzelt wäre, Sinn. Im Laufe eines Tages arbeitet das Paar eine 15jährige Ehe auf, welche völlig fiktiv, mit anderen Partnern erlebt oder zusammen durchgemacht worden sein mag. Probleme und differente Sichten werden enthüllt, Vorwürfe gemacht, Emotionen hinterfragt. Echt oder inszeniert, quasi eine Art privater Film im Film? Solche Ungewißheit bleibt das Herz des Geschehens.

Jedes Wort könnte in Anführungszeichen stehen, künstliches Abbild der Realität bedeuten. DIE LIEBESFÄLSCHER fordern dazu heraus, selbst nach Hinweisen zu suchen, Antworten zu finden, Fragezeichen auszumerzen. Das Tragikomische, Tiefgängige zelebrieren sie voll Lust am Spiel, ziehen wie nebenbei noch weitere Paare hinzu – eines am Tag der Hochzeit, ein anderes im Alter. Zu enträtseln, wer selbst hier die Kopie welchen Originals darstellt, bedeutet intelligente Detektivarbeit. Und ein sinnliches Kinoerlebnis.

Originaltitel: COPIE CONFORME

F/I/Belgien 2010, 106 min
FSK 0
Verleih: Alamode

Genre: Drama, Liebe, Poesie

Darsteller: Juliette Binoche, William Shimell, Jean-Claude Carrière, Agathe Natanson, Gianna Giachetti

Stab:
Regie: Abbas Kiarostami
Drehbuch: Abbas Kiarostami

Kinostart: 13.10.11

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...