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Die Melodie des Meeres

Im Reich der Wunder und Geborgenheit

Es sind die wärmsten Erinnerungen, die Ben an seine Mutter hat. Erinnerungen, in denen all die Fabel- und Fantasiewesen geistern, von denen die Mutter dem Jungen Geschichten erzählte. Ihn in ein Reich der Wunder und Geborgenheit hüllend. Damals, als sie noch lebte. Zusammen mit Ben und seinem Vater, dem Leuchtturmwärter, am Meer, in dem sie verschwand in stürmischer Nacht, kurz nachdem sie die kleine Saoirse zur Welt brachte. Sechs Jahre ist die inzwischen. Ein seltsames Mädchen. Sanft und verträumt. Und stumm. Und für Ben nicht nur ein Klotz am Bein, sondern auch die Schuldige daran, daß Mutter nicht mehr bei ihnen ist.

Unsere Welt, behauptete einmal William Butler Yeats, existiere nur, um eine Geschichte zu sein in den Ohren kommender Geschlechter. Was man Yeats sofort glaubt. Einfach, weil er nicht nur als großer Dichter, sondern auch als Ire weiß, wovon er spricht. Gibt es doch in Europa kein zweites Volk, das die Kunst des Erzählens so wunderbar beherrscht. Wofür die schon seit Jahrhunderten auffällige Dichte an Schriftstellern von der grünen Insel nur ein Symptom ist. Ein anderes, ein neueres, ist das Kino von dort. Und daß es jetzt ein Kinder-, ein Zeichentrickfilm ist, der das mal wieder zeigt, paßt gut. Denn was an DIE MELODIE DES MEERES bezaubert, ist nicht nur die wohltuend klassische und liebevolle Animation, sondern auch die Souveränität, wie sich darin Mythen und Wirklichkeit vermischen. Oft geradezu ornamental und immer ohne Trara und Haste-nicht-gesehen-Effekte. Wunder geschehen leise. Und dramaturgisch wirksam ist ja allein schon diese Schwermut der Exposition, auf die dann eben eine Geschichte folgt, die das Herz leicht macht und beglückt wie selten eine. Bei Großmutter in der Stadt sollen da nämlich Ben und Saoirse plötzlich leben. Und auch wenn das von den Erwachsenen gut gemeint ist, sind die Kinder sich doch plötzlich ganz nah in ihrer Sehnsucht nach dem fernen Meer. Daß bei der schnell beschlossenen Flucht zurück zu diesem dann allerlei Wesen auftauchen, die Ben bisher nur aus den Geschichten seiner Mutter kannte, hat auch etwas mit dem Geheimnis zu tun, das Saoirse in sich birgt.

Und das für ein Abenteuer sorgt, ob dem DIE MELODIE DES MEERES sich als Melodie einer Geschichte entpuppt, in der man sich schlicht geborgen fühlt. Daß sie auch ein poetisches Gleichnis ist über das, was uns das Herz versteinert und den Blick trübt, macht den Film umso wertvoller.

Originaltitel: SONG OF THE SEA

Irland/DK/Belgien/Luxemburg/F 2014, 93 min
FSK 0
Verleih: KSM

Genre: Animation, Kinderfilm, Poesie

Regie: Tomm Moore

Kinostart: 24.12.15

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.