Originaltitel: LA TRAVERSÉE
F/D/Tschechien 2020, 84 min
FSK 12
Verleih: Grandfilm
Genre: Drama, Animation
Stab:
Regie: Florence Miailhe
Stimmen: Hanna Schygulla
Kinostart: 28.04.22
Seit ihren Anfängen ist die Menschheit stets in Bewegung: manchmal aus purer Neugier, weit häufiger jedoch auf der Suche nach einer Gegend, wo man in Frieden sein Auskommen hat. Die halbwüchsigen Geschwister Kyona und Adriel verlassen ihr idyllisches Dorf nicht freiwillig. Die Überfälle brutaler Milizen drängen sie und ihre Angehörigen zur Flucht. Nachdem die beiden während einer Razzia vom Rest der Familie getrennt wurden, schlagen sich die Geschwister auf eigene Faust durch. Auf ihrer Reise ins Ungewisse machen sie viele Stationen durch: Von einer Straßenkinderbande über ein reiches, kinderloses Paar bis zu einem Wanderzirkus und einem Gefangenenlager. Einzige Konstante sind die beständigen Abschiede und Neuanfänge.
Eine altmodisch anmutende Erzählstimme berichtet die Ereignisse in der Rückschau. Als roter Faden dient Kyonas Skizzenbuch, in dem sie Menschen und Landschaften festhält und das sie als einzige materielle Verbindung zu ihrem alten Leben hinüberrettet. Zeit und Orte sind bewußt vage gehalten, und die Protagonisten bilden eine bunt zusammengewürfelte Schar von Hautfarben und Kulturen, um die Universalität der Geschehnisse zu betonen. Die emotionalen Härten des Filmes werden durch eine kräftige Dosis magischen Realismus’ und die märchenhafte Erzählstruktur abgefangen. Beispielsweise verwandeln sich die Straßenkinder in Raben, wenn sie auf Beutezug gehen. Diese poetischen Kunstgriffe machen DIE ODYSSEE auch für ein jugendliches Publikum zugänglich und aushaltbar.
Gleiches gilt für die naiv wirkenden Bilder, die in eigenwilligem Gegensatz zu den oft schrecklichen Ereignissen stehen. Die Konturen der Figuren sind klar, es dominieren Primärfarben. In der Animation fließen die Bilder oft ineinander über. Die französische Künstlerin Florence Miailhe hat dafür eine sehr spezielle Technik verwendet: Sie malt mit Ölfarben auf Glas. Dieses aufwendige Verfahren produziert visuell einzigartige Wirkungen.
Als Inspiration diente der Regisseurin übrigens die Geschichte ihrer Urgroßeltern, die 1905 vor den Judenprogromen aus Odessa flohen. Daß dieser Tage wieder Menschen aus der Schwarzmeerstadt fliehen, erscheint wie eine grausame Wiederholung der ewigen menschlichen Tragödie.
[ Dörthe Gromes ]