Originaltitel: KROTKAYA
D/F/NL/Litauen 2017, 143 min
FSK 12
Verleih: Grandfilm
Genre: Drama, Polit
Darsteller: Vasilina Makovtseva, Marina Klesheva, Lia Akhedzhakova, Valeriu Andriuta, Boris Kamorzin
Regie: Sergej Loznitsa
Kinostart: 03.05.18
Es gibt diese Filme, die einen gleichzeitig erheben und niederdrücken, weil sie große Filmkunst verkörpern, die von ihnen erzählte Geschichte aber doch furchtbar ist. Das Schreckliche und das Großartige liegen in DIE SANFTE nah beieinander, ein brillantes Gleichnis für Rußland im generellen. Der Ukrainer Sergej Loznitsa zeichnet ein unbarmherziges Bild des Landes, in dem er selbst etliche Jahre lebte. Ein wahres Pandämonium fährt er dafür auf: gewalttätige Polizisten, kaltherzige Beamte, vorgebliche Helferinnen, schmalzige Ariensänger, Suffköppe beiderlei Geschlechts, zwielichtige Unterwelttypen. All diesem Gelichter begegnet seine stille Heldin auf ihrer Reise von einem kleinen, unbedeutenden Dorf ins Herz der Finsternis: Magadan. Wobei dieser Name weniger für die reale Hafenstadt im Osten Sibiriens steht, vielmehr eine Chiffre ist für eine abgelegene und von allen Göttern verlassene Gefängnisstadt, wie es viele in Rußland gibt. „Wir leben davon, wir beten es an!“, erklärt ihr der schleimige Taxifahrer, der sie vom Bahnhof zum Gefängnis bringt.
An diesen bedrückenden Ort begibt sich die namenlose Sanfte aus einem einfachen Grund. Ihr Mann sitzt dort seine Strafe ab, wofür, bleibt unklar. Das letzte Paket an ihn mit Lebensmitteln und Kleidung kam ohne Angabe von Gründen zurück. Also macht sie sich auf den weiten Weg, um herauszufinden, was mit ihm geschehen ist, und um ihr Paket persönlich zu übergeben. Doch die kleinliche Gefängnisangestellte interessiert das keinen Deut, Besuch und Paket werden brüsk abgelehnt. Die Besucherin solle sich an die zuständigen Instanzen wenden. Aber wer genau sind die denn? Die Menschen sind der Willkür der staatlichen Stellen schutzlos ausgeliefert, es gibt keinerlei Rechtssicherheit.
Für die Heldin beginnt eine kafkaeske Irrfahrt. Undurchsichtige Typen versprechen Abhilfe gegen gewisse Gegenleistungen, alles bleibt jedoch im Ungefähren. Auch die überforderte Menschenrechtsaktivistin kann ihr nicht helfen, sie wird selbst als angebliche Agentin der USA angefeindet. Gibt es doch seit 2012 ein russisches Gesetz, das NGOs, die Gelder aus dem Ausland beziehen, als „ausländische Agenten“ diffamiert und ihre Arbeit so annähernd unmöglich macht.
Loznitsa zeigt eine Gesellschaft, die an Rohheit, Mißtrauen und Größenwahn krankt. Allerorten herrscht Lieblosigkeit. Er legt den Finger in die Wunde, die großartige Seite dieses Landes und seiner Menschen blendet der Filmemacher dabei aus. Stoisch und gleichmütig erträgt seine wortkarge Sanfte, die niemals lächelt, alle Zumutungen. Nur einmal begehrt sie kurz auf, und selbst dieser kleine Protest wird bestraft. Das alles ist mit einer solchen Präzision erzählt und gefilmt, daß es unausweichlich wirkt. Man merkt der filmischen Handschrift deutlich die Herkunft des Regisseurs vom Dokumentarischen an.
Im letzten Drittel wechselt Loznitsa abrupt Stil und Tonlage. In einer surrealen Traumsequenz nimmt die Heldin an einem grotesken Bankett teil, oder ist es nicht vielmehr ein Standgericht? Hier versammeln sich noch einmal all die Gestalten, denen sie begegnet ist, aus Anlaß der Feier der Einheit von Volk und Gefängnis.
Die Botschaft dieser politischen Parabel ist überdeutlich: Das ganze Land ist ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gibt. Das russische Volk schläft, es träumt einen Alptraum ohne Erwachen. Das ist bitter, sehr bitter.
[ Dörthe Gromes ]