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Die schönen Tage

Ein Liebeslied für eine schöne Frau

Es wird schnell klar, eigentlich sofort: Das Geschenk ihrer Töchter ist ein irgendwie vergiftetes, in jedem Fall aber das komplett ungeeignete für eine Frau wie Caroline. Wie ein Fremdkörper, geradezu außerirdisch, schwebt sie durch die Gänge, mit einer sehr sympathischen Hartnäckigkeit verweigert sie sich den reichlich depperten Kursen fürs Lachtraining, diesen verlogenen Optimismusdrillseminaren, und als die Dame der Anmeldung zum Abschied meint: „Vergessen Sie beim nächsten Mal Ihr Foto nicht!“, dann ahnt man, daß es für Caroline nach dem Reinschnuppern in diesen Seniorenklub kein nächstes Mal geben wird.

Oder fast. Denn gab es da nicht diesen Blick eben? Zwischen der schönen Neu-Pensionärin (pardon, ja, das Wort ist irgendwie daneben ...) und dem reichlich jüngeren Julien, der den Senioren an den Computern hilft. Schon deswegen kann Caroline ja noch einmal vorbeischauen. Auftakt zu einer leidenschaftlichen Affäre, zu einem möglichen Neuanfang, zu einer fast vergessenen Lust, denn im Leben mit Philippe, der anders als Caroline noch immer als Dentist arbeitet, ging es auch schon spannender und hingebungsvoller zu. Die Wegbereitung ist dabei so simpel wie hinreißend: Julien verspürt Zahnschmerz, Caroline verweist ihn an ihren Mann, der natürlich keine Zeit hat, weswegen der Geplagte kurz darauf vor der Zahnärztin im Ruhestand auf dem Behandlungsstuhl sitzt. Oder liegt. Zwischenstation eines wirklich hinreißenden Flirts, der mit wunderbaren Dialogen gewürzt ist. Er: „Was ist Dein Typ?“ Sie: „Klein, fett und kahl.“ Er: „Schade.“

Und dann geht es recht schnell zwischen den beiden, warum auch nicht? Das Leben ist kurz. Immer intensivere Blicke, ein Spaziergang am Meer, der Platzregen im richtigen Moment, die Flucht ins Auto, die Scheiben beschlagen. Caroline ist klug genug, spätestens jetzt zu ahnen, wohin die Reise geht. Und klug genug, das zu genießen: die Aufmerksamkeit, das Begehrtwerden, den Sex, das Glas Wein am Mittag, das Zecheprellen, die vielen SMS. Sie ist nicht dafür gemacht, gluckenhaft zu Hause am Herd darauf zu warten, wen sie so alles hübsch bekochen könnte. Kommt die Familie, heißt eben Tiefkühlpizza die Lösung.

DIE SCHÖNEN TAGE ist wahrlich ein warmer, kluger Film, ein Aufruf gegen den Stillstand, ein Appell an die Lust, das Besinnen auf den Lebenshunger. Der Film ist komisch, durchaus, er zeigt aber auch die Abriebe eines Lebens, einer Ehe, und piekst in das Nest, in dem die Affären-, Sehnsuchts- und Probierwutwespen wohnen und ist dabei vor allem eins und das zu Recht: ein Kniefall vor der großen, stolzen und unvergleichlich altersschönen Fanny Ardant. Ja, es ist ihr Film, den sie mit ihrem zurückhaltenden Spiel und dieser sanften Stimme veredelt, in schönen Mänteln und nachtblauer Wäsche, mit ihren stolzen, großen Augen, ihrer Anmut, die im Alter die einst jugendliche Schönheit locker überholt. Fanny Ardant streift durch Carolines neues Leben, nur die nötigsten Fragen stellend, ahnend und genießend, bisweilen gepardengleich, elegant, ein wenig räuberisch, erfahren, klug, neugierig, ganz einfach wissend: Ihr steht so manches zu.

Und dieses Leichte, diese Aussicht auf ein Leben als Süßigkeit, von der man einfach naschen darf, unterstreicht aufs Trefflichste das schwebende Chanson „Le vent nous portera“ von Noir Desir, hier von der Schweizerin Sophie Hunger interpretiert. Marion Vernoux’ unaufgeregter und dennoch brodelnder Film ist niemals naiv, träumerisch indes, und er endet so, wie es allein Caroline bestimmt geahnt und ganz sicher auch gewollt hat.

Originaltitel: LES BEAUX JOURS

F 2013, 94 min
FSK 0
Verleih: Wild Bunch

Genre: Liebe, Poesie, Tragikomödie

Darsteller: Fanny Ardant, Patrick Chesnais, Laurent Lafitte

Regie: Marion Vernoux

Kinostart: 19.09.13

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.