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Die Stimme des Adlers

Poetisch, gleichnishaft – ein Stück seltenes Kino

So wie hier blickte man wohl noch nie ins Auge eines Adlers. Die ganze Leinwand füllt der Kopf des Tieres. Immer wieder sieht es einen aus diesen eigentümlichen, musternden und irgendwie wissenden Augen an. Und da sitzt man dann also als mitteleuropäischer Städter und ist beeindruckt. Was für ein großartiges, majestätisches Tier! Der 12jährige Bazarbai nun empfindet das freilich ganz anders.

Besagter Adler gehört Bazarbais Vater, der, Traditionen verhaftet und um alte mythische Wahrheiten wissend, dem Sohn die Jagd mit dem Adler beibringen möchte. Es gilt, ein Wissen weiterzugeben, ein Ritual zu beherrschen, das von der Einheit von Mensch und Natur spricht, vom Kreislauf von Leben und Tod. Doch all das interessiert Bazarbai herzlich wenig. In die Stadt zieht es ihn. Weg aus der Weite und Einsamkeit der mongolischen Steppe, hin zum großen Bruder nach Ulan Bator. Dorthin, wo Bazarbai das aufregende, das wahre Leben vermutet. Doch als durch Bazarbais Leichtfertigkeit der Adler in die Steppe entfliegt, folgt der Junge ihm, um das Tier zurückzuholen. Der Beginn einer abenteuerlichen Reise und einer großen Freundschaft – zwischen Bazarbai und dem Greif.

Daß noch mal jemand so einen Kinderfilm dreht! Als eine poetische, ernste Abschiedsreise. Weg von der Unschuld und auch der Einfältigkeit der Kindheit, hin zu einem Erwachsenwerden, das sich gleichwohl eine kindliche Empathie, Unvoreingenommenheit bewahrt. Ruhig, gleichnishaft und bodenständig in einem erzählt das René Bo Hansen. Läßt sich dabei immer wieder Zeit für ruhige Schwenks über grandiose Natur. Blickt genau in die Gesichter, achtet auf Gesten und Nuancen.

Es wäre zu wünschen, daß DIE STIMME DES ADLERS sein Publikum findet. Gerade weil er so unzeitgemäß, so unaufgeregt erzählt. Und weil er dabei eben auf sehr filmische Weise, also ohne pädagogisch zu tönen, etwas erklärt. Es reicht, wenn da im Laufe der Handlung die Kamera immer öfter – statt über unberührte Steppen und Gebirgszüge – über die Betonsilos und Industrieanlagen Ulan Bators schwenkt oder über die wie weidwund aufgerissen im fahlen Sonnenlicht liegende Erde riesiger Bergbaugebiete.

Gesehen wird das mit Bazarbais Augen. Und man selbst sieht Bazarbai, der lernt und begreift, ohne daß noch groß erklärt werden müßte, was er da lernt und begreift. Das nämlich hat gutes Kino nicht nötig. DIE STIMME DES ADLERS erinnert mal wieder daran.

D/S 2008, 87 min
FSK 0
Verleih: Movienet

Genre: Kinderfilm, Abenteuer, Drama

Darsteller: Asilbek Badelkhan, Serikbai Khulan, Bazarbai Matei, Mardan Matei

Regie: René Bo Hansen

Kinostart: 18.06.09

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.